Af d´Fers´n tre(t)n…

Schon im ersten Band erzählte ich vom Kreuzweg zwischen Götting, Grillenparz, Ungernberg und Hub. Es ging dabei um jenen Mann, der einst dort mit schwarzer Magie dunkle Mächte beschwor, um in die Zukunft zu sehen. Ich dachte mir, dass dies wohl die einzige Geschichte wäre, die sich um diesen Ort rankt, aber ich sollte mich getäuscht haben:

Keiner weiß mehr genau wann sich das alles zugetragen hat. Viele bezweifeln sogar, dass es sich jemals ereignete. Trotzdem will ich die folgende Geschichte nicht für mich behalten sondern erzählen, damit sich jeder selbst ein Bild davon machen kann. Es muss in einer Zeit gewesen sein, als die Menschen noch zu Fuß unterwegs waren und auch, als die kürzeste Verbindung zwischen Kopfing und Enzenkirchen noch über Engertsberg, Hub, Götting und Ruprechtsberg verlief. Am Tag heute sicherlich eine schöne Strecke, in Engertsberg sieht man weit ins Land hinein und die ehemalige Hubmühle ist selbst heute noch sehenswert. In der Nacht sieht das ganze schon etwas anders aus, denn in einer solchen kann man sich auf dieser schon öfters als der letzte Mensch auf diesem Planeten vorkommen. Irgendwie scheint man dann weit weg von jeglicher Zivilisation. Und wenn einem das heute noch so vorkommt, dann kann man in etwa erahnen wie es wohl in alten Tagen war. Hauptperson unserer Geschichte ist ein Schneider, der einige Tag zur Stör in Kopfing war und sich noch in der Nacht auf den Weg machte um zu seiner Familie zu gelangen. Frohen Mutes betrachtete er staunend den prächtigen Sternenhimmel, als er von Glatzing in Richtung Engertsberg ging. Die Sonne war kurz zuvor untergegangen, also hatte er noch einen herrlichen Blick über das weite Land. Auf der Bergkuppe wo heute das Feuerwehrhaus steht, hockte er sich kurz in die Wiese, ließ seien Blick schweifen und aß etwas von dem Brot, dass ihm die Frau seines letzten Arbeitgebers auf den Weg mitgegeben hat. War es nicht herrlich hier? Erst nach einer Viertelstunde erhob er sich wieder und setzte seinen Weg fort. Freundlich grüßte ihn noch ein altes Ehepaar, das zusammen heraußen vor dem Haus auf einer Bank saß und ihm nach einigen gewechselten Worten einen gutes Nachhausekommen wünschte. Als er auf den Weg kam, der von Gröbn Richtung Hub verlief hörte er in der Stille das Rauschen des nahen Baches. Dieses Rauschen war es auch, dass ihm die Mulmigkeit die ihn übermannte als er ins Tal der Hubmühle kam, etwas milderte. Klar vernahm er das Drehen des Wasserrades und der von ihm betriebenen Haferstampf. Um ihn herum war jedoch nichts als Dunkelheit und daher konnte er auch noch nichts erkennen und dank des Stampfens und Rauschens auch nichts hören. Erst als er die Hubmühle hinter sich ließ und er durch den damals noch dichteren Wald hinauf nach Hub ging. Schien es ihm, als höre er ein leises Schleifen hinter ihm. Nur ein Hirngespinst, beruhigte er sich. Können aber Hirngespinste einen verfolgen? Um sich zu versichern, dass hinter ihm nichts war, drehte er sich kurz um. Im Dunkeln des Waldes sah er aber nur Schwärze; wenn er auch kurz meinte, dass sich in der Schwärze noch ein dunkler Schatten bewegt. Seine Schritte wurden schneller. Aber das Schleifen hinter ihm auch. Er erhöhte seine Schrittzahl und der Schatten hinter ihm auch. Sein Herz pochte schneller, bald so laut, dass er es selbst zu hören glaubte. Poch, Poch. Es schlug im selben Takt, wie das Schleifen hinter ihm erklang. Schleif, Schleif. Kurz musste er einmal einen riesigen Knoten in seinem Hals runterschlucken, der kurz darauf in seinem Herzen zu explodieren schien, als er hinter ihm neben dem Schleifen ein zweifaches „He-He“ vernahm. Erst als er in Hub angelangt war, wo fahles Licht aus den Stuben der dortigen Bauernhäuser fiel, drehte er sich nochmals um und zu seinem Erstaunen war da nichts. Kein Schatten der ihn verfolgte, auch war kein Schleifen und kein leises Kichern zu hören. Seine Fantasie hatte ihm wohl einen Streich gespielt? Ein riesiger Stein fiel ihm vom Herzen und er atmete tief durch und die Welt schien wieder friedlich. Mulmig wurde ihm aber trotzdem, als er Hub langsam wieder hinter sich hatte. Das fahle Licht war wieder verschwunden und die Dunkelheit umschlang ihn erneut. Wenn es auch eigenartig klingt, aber als er in den Wald zwischen Hub und Götting trat wurde die Dunkelheit noch schwärzer. Sprichwörtlich konnte er jetzt nicht einmal mehr die eigene Hand vor Augen sehen. Und jeder der das schon einmal erlebt hat, weiß wie schwierig es dann ist, überhaupt noch einem Weg folgen zu können; etwas dass man nicht für Möglich hält, wenn es helllichter Tag ist. Nicht einmal fing er sich dabei einen Kratzer von einem nahen Zweig ein. Gottseidank, war das Schleifen nicht zurückgekehrt, dachte er sich und er wollte sich dazu zwingen nicht mehr an das vorhin Eingebildete zu denken. Jeder weiß aber aus eigener Erfahrung, wie das dann ist. Will man etwas vergessen, dann setzt es sich so im Gedanken fest, dass man es nicht mehr los wird. Ein Gebet, ja, Beten ist vielleicht eine Hilfe; also begann er mit dem apostolischen Glaubensbekenntnis: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde und an Jesus Christus seinen eingeborenen Sohn, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt und gestorben und hinab gestiegen in das Reich des Todes…“ und da war der Gedanke wieder, denn der Tod hatte ihn auf Schwarz gebracht und dieses Schwärze war rings um ihn. „Mist!“ brach es aus ihn heraus. „Mist!“ erklang es einige Schritte hinter ihm. Erschrocken drehte er sich wieder um und da war er wieder jener Schatten in der Dunkelheit und auch das Schleifen das ihn begleitete. Erneut legte er einen Zahn zu und erhöhte sein Tempo. Irgendeiner schien ihm da einen bösen Scherz zu spielen, schoss ihm durch den Kopf. Einige hundert Meter hatte er noch, bis er aus dem Wald raus war und dann war Götting nicht mehr weit. Sein Schritt wurde noch schneller und es ertönte hinter ihm wieder „He-He“ gefolgt von einem gehauchten „Reich des Todes – wo ist er jetzt dein Gott?“. „Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme…“ betete der Schneider nun laut vor sich hin, während der Schatten ihn verfolgte… „Mein Wille geschehe…“ hauchte er. Der Mann stieß sich kurz an einem Stein und stolperte darüber, sprang jedoch sofort wieder auf und begann etwas zu Laufen. Schnell war er nicht, denn immerhin war er ja auch nicht mehr der Jüngste, aber der Schatten konnte mit ihm mithalten: „Ani-We-Hu, wo bist du? He-He!“, erklang es erneut. Ani-We-Hu? Wer oder was sollte das sein, fragte sich der Mann den Bruchteil einer Sekunde, denn dann sah er in der Ferne den Kreuzweg von Götting, als der Schatten ihm plötzlich von hinten auf die Ferse trat und ihn Eiseskälte durchfuhr, sowie Angst, Ekel und Widerwärtigkeit wie er sie bis dato nicht gekannt hatte. Ein zweites Mal traf es ihn an der Ferse und höllischer Schmerz durchdrang ihn. Laut schrie er auf und brach mit seinen letzten Kräften am Kreuz, das an der Kreuzung stand und das er mit seinen Händen gerade noch fassen konnte zusammen. Das letzte was er noch vernahm war ein entsetzliches Kreischgeräusch, als der Schatten verschwand und er sein Bewusstsein verlor. Erst am nächsten Morgen rüttelten ihn ein Bauer und dessen Magd vom Grillenparz wach und erkundigte sich, was wohl geschehen sei. Erst nach Minuten des sich Sammelns, erzählte er ihnen was geschehen war. Anfangs wollte ihm der Bauer nicht ganz glauben, einzig die Magd bekreuzigte sich sofort, erst als er die Ferse des Schneiders erblickte bekreuzigte er sich ebenfalls. Über seine ganze linke Wade hinunter zogen sich vier eitrige, tiefe Kratzer, der Schuh war zerfetzt und seine Ferse pechschwarz. Das alte vermoderte Holzkreuz auf dem Kreuzweg hatte ihn vermutlich gerettet. Aus Dank ließ der Schneider ein neues machen und vom Pfarrer weihen, denn vielleicht war er ja nicht der Letzte gewesen, der dessen Hilfe benötigte. Irgendwo da draußen in den Wäldern um Götting, Hub und Ungernberg könnte der Schatten noch immer sein und auf sein Opfer warten?

Kommentar:

Af d´Fers´n tret´n : Ein Schneider ging von der Stör von Kopfing nach Hause und auf einmal bemerkte er, dass ihm immer wieder jemand auf die Ferse trat. Aufgezeichnet von Allmannsberger Mathilde nach einer Erzählung von Vorhauer Karl 2004.

Quelle: Roger Michael Allmannsberger, Sagen aus Enzenkirchen, Teil 2.