D´Woifsbuag…

Wölfe jagten durch den nächtlichen Wald, der genauso dunkel war wie ihr aufgerissener Rache der sich zu einem lauten Geheul Richtung einem alten, steinernen Turm erhob aus dem schreckliche Schreie erhallten und die ganze Gegend erfassten, sodass sie sogar ein kleines Mädchen im Nahe Gaisbuchen aus den Schlaf rissen. Verängstigt verkroch sie sich unter der Bettdecke und schmiegte sich an ihre Mutter, die erst nach dem nächsten Geschrei aufschrak. Die Mutter schaute etwas ängstlich ihre Tochter an, stieg dann aus dem Bett und ging zum Fenster um einen Blick hinaus zu werfen. Es war wieder dieses eigenartige Leuchten über dem Gaiserwald zu sehen und speziell droben am Turnstein. Und dann diese Schreie, die der Wind in gewissen Nächten bis in ihr Zimmer trug. Sie atmete einmal tief durch, schloss das Fenster und begab sich wieder zu Bett, wo ihre Tochter noch immer ängstlich unter der Bettdecke kauernd wartete. Der Vater war vor einem halben Jahr in den Krieg gezogen und seither hatten sie nichts mehr von ihm gehört. Nach einer Weile schliefen beide wieder ein. Als der erste Hahn krähte, stand die Mutter auf und ließ ihr Kind noch etwas schlafen, während sie runter in die Stube ging um Frühstück zu machen. Dort saß bereits die Großmutter über einer Rahmsuppe, in der sie das übrig gebliebene steinharte Brot etwas aufweichte und aß. „Gestan wårns wieda zan hern!“ sagte sie zu ihr. „I woaß, i håns a gheat, vermutli´ is wieda Jåhrståg! De åma Sän!“. Die Mutter schwieg dazu, denn sie wusste ja von den alten Geschichten und von dem was damals geschehen war. Auch sie hatte sie als kleines Mädchen immer schreien gehören, draußen aus dem Gaiserwald und auch damals verstummten sie jedes Jahr um ein Jahr später erneut zu erklingen. „Zwoa Nacht´n nu´, dånn is wieda a Ruah!“ versuchte die Großmutter zu trösten. „D´Anna håt´s heit a da Nåcht a s´erste Mål g´heat und i woaß net wia I ihra des erklär´n soi?“ fragte die Mutter um Rat. „An bessan is, du sågst gä nix, vielleicht håt sie´s jå scho´ wieda vagess´n!“. Und die Mutter nickte nur, während sie Brot in die Rahmsuppe „eini brockt“, und damit war das Thema vom Tisch. Die Mutter wollte aber endlich klare Verhältnisse schaffen, ließ ihre Tochter bei der Großmutter, und eilte am Tag zum Pfarrer nach Enzenkirchen, den sie um Rat fragen wollte. Nachdem dieser sich das zu Erzählende angehört hatte, sagte er ihr etwas blass im Gesicht Hilfe zu. Kurz vor Sonnenuntergang war er in „da Goasbuah“ angekommen und gemeinsam machten er und die Mutter sich auf den Weg Richtung Turnstein. Als sie oben ankamen lag dieser noch friedlich da und nichts rührte sich in seiner Umgebung. Der Pfarrer und die Frau versteckten sich hinter einem nahen Holzstoß und warteten. Langsam senkte sich die Sonne im Westen und die letzten Sonnenstrahlen berührten den Stein. „An Eicht´l wiads nu dauern, dånn wiads läss geh´n!“ flüsterte die Frau leise zum Pfarrer rüber. Als die Sonne hinter den Bäumen verschwunden war, hörte man ersten Gejaul im nahen Gaiserwald und beide starrten gespannt auf den Stein. Kurz darauf erschien ein Wolf und legte sich auf den Turnstein. Nun ging es Schlag auf Schlag, da und dort erklang Hundegebell und Gejaule und alle versammelten sich rund um den Stein. Der Pfarrer griff währenddessen leise in einen mitgebrachten Juttesack und holte eine Flasche Weihwasser, ein Kruzifix, einen Rosenkranz und eine Bibel hervor. Mit etwas zittrigen Händen hängte er sich den Rosenkranz um den Hals, nahm die Bibel unter seine linke Achsel, das Kruzifix in seine Linke und die Flasche voll Weihwasser in die Rechte. Droben am Stein zogen währenddessen Nebelschwaden auf und begannen sich zu formen. Bald bildeten sie einen Turm und kurz darauf erklang schreckliches Geschrei, das irgendwie aus dem Turm zu kommen schien. Um den Turm herum hatten sich die Wölfe und Hunde postiert und wachten dem Geschehen. Ein Schnalzen erklang im Gaiserwald und ein lautes Stampfen erklang, das immer näher zu kommen schien und ein dunkler Schatten kroch aus dem Wald. Alle Hunde und Wölfe erhoben sich und formten einen Korridor. Durch den Korridor bahnte sich der Schatten seinen Weg, der mit seinem linken Fuß einen Bocksfuß formte. Das musste Luzifer persönlich sein, der dort war. Nun war es an den Pfarrer und der Frau, gemeinsam sprangen sie hinter ihrem Holzstoß hervor, schoben die sie anknurrenden Hunde und Wölfe beiseite und kämpften sich so vor das Tor des Turms und versperrten dem Teufel den Weg. Der Schatten wurde größer und mächtiger und erhob sich bald über die Wipfel der Bäume hinweg, während im selben Moment lauter Donner erklang und ein Blitz nach dem anderen über dem Gaiserwald niederging und einige Bäume zerfetzte, während die Hunde und Wölfe nun alle zusammen laut zu heulen begannen. Die beiden Menschen standen zittrig und voller panischer Angst da und der Pfarrer begann einige Stellen aus der Bibel zu lesen, während die Frau mit dem Weihwasser in der Flasche einen Kreis rund um den Turnstein zog, sodass sie und der Pfarrer im Kreis und der Dämon mit seinem Gefolge draußen waren, denn nur so waren sie geschützt. Aus dem Turm erklangen die schrecklichsten Wehklagen und fürchterlichstes Geschrei. Um den Turm herum über dem Gaiserwald, Pfennaberi, Schmied an Wåll, Gotthålm, Aufleck, Hamet und Grua hatte währenddessen das Gewitter eine geschlossene Front gebildet und unzählige Blitze gingen nieder, als würde gleich die Welt untergehen. Laut begannen der Pfarrer und die Frau nun den Rosenkranz zu beten bis der Priester am Ende das mitgebrachte Kruzifix in den Boden vor dem Turnstein rammte und mit einem lauten Krachen der Schatten zurück in den Gaiserwald kroch, gefolgt von allen Hunden und Wölfen. Die Nebelschwaden die den Turm bildeten verflüchtigten sich und das Geschrei verstummte. Vollkommen erschöpft sackten sowohl der Pfarrer als auch die Frau auf dem Turnstein nieder und erst nach einer halben Stunde hatten sie genug Kraft gesammelt, um zum Hof der Frau zu gelangen. Dort mussten sich beide erstmal ausruhen und erst am nächsten Tag gegen Mittag erwachten sie wieder. Die Tochter rannte der Frau entgegen, als diese zur Stubentüre hereinkam, und erzählte ihr sofort davon, dass sie gestern Nacht wieder diese Schrecklichen Stimmen gehört hatte, bis sie von einem schrecklichen, lauten Gewitter übertönt wurden und was wohl geschehen war? An diesem Tag bekam die Tochter noch keine Antwort. Erst viele Jahre später, nachdem sich alle sicher waren, dass die grässlichen Stimmen über dem Gaiserwald nie mehr wieder zu hören sein werden und das Mädchen zu einer jungen Frau herangereift war, erzählte sie ihr die ganze Geschichte: Früher befand sich oben am Turnstein eine Burg, die den Herren von Hungberg gehörte, woher der Name des Steines rührt, nämlich „Turmstein“. Von dieser Burg aus kontrollierten sie die nah vorbeilaufende „Hägstråß“, die nicht nur wichtige Handelsstraße sondern auch Grenzübergang zwischen Bayern und Österreich war. Viele Jahre hindurch war es eine lukrative Angelegenheit für sie, Maut von den Händlern zu kassieren. Als diese am Ende des Mittelalters auf die Poststraße Wels-Peuerbach-Enzenkirchen-Eisenbirn-Passau auswichen gingen auch ihre Einnahmen zurück und daher hoben sie erhöhte Abgaben von ihren untergebenen Bauern ein und wer nicht zahlen konnte den sperrten sie in einen extra dafür errichteten Turm, über dessen Eingangstor ein schrecklicher Wolf in Stein zu sehen war, wovon sich der spätere Name Wolfsburg ableitete. Angeblich prangte der Wolf auch auf dem Schild des Familenwappens der Hungberger, weil sie sich oft solche als Haustiere hielten und sie zur Jagd abrichteten.

Sperrten sie anfangs nur bei ihnen verschuldete Bauern ein, kehrte mit dem letzten Sprössling des Geschlechts der Wahnsinn ein. Fasziniert von der Alchimie und schwarzen Magie, war bald kein Mensch mehr vor ihm sicher. Nur zum Spaß kerkerte er sie im Turm ein und ließ sie dort quälen oder verhungern. Erst aufständische Bauern im großen Bauernkrieg bereiteten dem Schrecken ein Ende. Sie stürmten die Wolfsburg, fassten den Herren und erschlugen ihn. Die Burg brannten sie nieder und trugen jeden Stein ab, bis nur mehr der heutige Turnstein zu sehen war. Die Leiche des Herren zerstückelten sie angeblich und verteilten seine Körperteile rundherum in den Wäldern, denn in keiner geweihten Erde sollte er begraben werden. Nachdem der Bauernaufstand gescheitert war, wusste niemand mehr etwas von der Burg droben am Hügel und auch nicht was geschehen war. Nur die Bauern der unmittelbaren Umgebung wurden jährlich drei Tage daran erinnert, und zwar dann wenn drei Nächte hindurch jene schrecklichen Schreie vom Gaiserwald zu hören waren. Meistens waren sie dann dazu genötigt ihren Nachkommen zu erklären woher und warum diese Schreie erklangen und so wurde das Ausmaß des Schreckens niemals vergessen, sondern immer von Generation zu Generation weiter getragen. Und manche Menschen behaupten auch heute noch, dass sie manchmal so etwas wie Geschrei aus den Wäldern hören. Der dunkle Schatten, den der Priester und die Frau bekämpften und der öfters im Gaiserwald herumstreifen soll, ist der letzte Sprössling der Hugenberger, dessen Leichenteile noch immer draußen in den Wäldern liegen und der nach seinem Tod zu einem Fürsten der Hölle wurde.

Kommentar:

D´Woifsburg: Vor langer Zeit sagten wohl alte Leute der Gegend, dass sie von ihren Vätern gehört hätten, die Stellen an den Mauertrümmern noch gesehen zu haben, wo sich die Fenster befanden. Es mangeln jedoch geschichtliche Beweise für das Vorhandensein einer Burg; und der Pfleger Josef Stoebner von Peuerbach, welcher um das Jahr 1822 nachgraben ließ, hat auch nichts weiter entdeckt, und es ist nichts anderes zu erkennen als Felsentrümmer. Augezeichnet von Wimmer Gottfried im Heimatbuch von Natternbach 1987, S. 43.

Quelle: Roger Michael Allmannsberger, Sagen aus Enzenkirchen, Teil 2.