Die Kirche von Aschach

Ein und dreiviertel Stunden von Steyr entfernt, liegt auf dem höchsten Punkt eines langgezogenen, zum Teil bewaldeten Höhenrückens, der das Enns- und Steyrtal scheidet und bis zu 640 Meter ansteigt, das stattliche Bauernhaus Hochhub; es liegt am Rande einer ziemlich großen, runden, ebenen und schier baumlosen Hochfläche, die den Blick nach allen Seiten der Windrose freigibt, mit einem herrlichen Rundblick auf die Berge des Enns- und Steyrtales. Nahe beim Hause steht ein mächtiger Lindenbaum und um ihn herum noch mehrere solcher Bäume jüngeren Alters.

Mitten im runden Wiesengrunde liegt ein mit Buschwerk umsäumter Weiher mit quellfrischem Wasser. Neben diesem Wasserborn, von Wiesenblumen umblüht, erhebt sich, auf einen Steinsockel aufgesetzt, ein hohes Holzkreuz mit zwei Querbalken. An diesem Kreuz, angefertigt vom Zimmermeister Forster in Dürnbach, sieht man, schön ins Holz der Balken geschmtzt, fünf Sechssterne, uralte Symbole, den Jesusnamen und die Jahreszahl 1959. Die Leute nennen das Kreuz "Wetter"-, "Hagel"- oder "Schauerkreuz"; es ist mit seiner Vorderseite gegen Osten gerichtet, der aufgehenden Sonne zu. Schauerkreuze stehen immer auf Anhöhen, von wo man rundum in die Feme sieht und wo meistens drei Grenzmarken zusammenstoßen, was hier der Fall ist, und zwar die Grenzen der Bauernhäuser Hochhub, Eichner und Tampelleiten oder Tampelleitner.
Alljährlich am Dreifaltigkeitssonntag Nachmittag kommen bei diesem Kreuz 200 bis 300 Leute aus der Umgebung zusammen und es wird dann unter freiem Himmel immer gemeinsam laut gebetet, was sie "Schauerbeten" nennen. Vorbeter ist gewöhnlich ein Bauer. Unwillkürlich denkt man da an des Römers Cornelius Tacitus "Germania", Kapitel 9.

Und hier auf diesem Platze, so meldet eine uralte Sage, sollte vor vielen hundert Jahren die Kirche von Aschach erbaut werden. Das Baumaterial, das man einigemale am Vortage auf den Berg gebracht hatte, fand sich am Morgen immer wieder weit draußen auf der um 220 Meter niedrigeren Hochfläche, auf der heute der Ort Aschach liegt. Man sah darin ein Zeichen des Himmels und erbaute die Kirche dort.

Der Ursprung der Kirche von Aschach ist unbekannt; zum erstenmale wird sie 1108 urkundlich erwähnt. Die schöne gotische Kirche ist dem Reiterheiligen Martin geweiht. - Eines der drei hohen Fenster, links vom Hauptaltar, zeigt im schönen, färbigen Glasgemälde den Heiligen als Krieger hoch zu Roß, u. zw. auf einem Schimmel sitzend, wie er mit dem Schwert seinen roten Mantel entzweischneidet; zu den Füßen des Pferdes kauert in seiner Armseligkeit der alte, halbnackte Bettler, der in Erwartung des halben Mantels zum Heiligen emporblickt und mit der erhobenen Rechten nach der Hälfte des Mantels langt.

Auf dem Hange, der sich vom Hochhubberge nordwärts niedersenkt ins Tal, liegt das uralte Bauernhaus "Tampelleiten". Auf dieser Leiten, so berichtet eine zweite Sage, wollte man die Kirche von Aschach erbauen, welche leitige Örtlichkeit zur Erbauung einer Kirche gar nicht geeignet gewesen wäre. Der Name Tampelleiten klingt etwas sonderbar. Sollte dieser Name vielleicht "Tempelleiten" heißen oder früher einmal so geheißen haben? Wenn ja, dann müßte in ferner Zeit auf der Hochfläche des Hochhubberges eine heidnische Tempelstätte (Kultstätte) gewesen sein, was gar nicht so unmöglich wäre. Das Bauernhaus Hochhub liegt einsam auf der Höhe, in der Ortschaft Haagen, was so viel wie eingehegter Raum bedeutet. Und alte heidnische Kultplätze waren immer eingehegt. Noch dazu liegt nicht weit entfernt ein Bauernhaus mit dem aufalIenden Namen "Tanzberg".

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 134
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006