Die Bergmännlein und Bergfräulein von Grünau

Wie viele Sagen zu erzählen wissen, hausten einst in den Bergen, Felsklüften und Höhlen der lieblichen und heiteren Voralpenlandschaft kleine Wesen, Bergmännlein und Bergfräulein. Gar oft verließen sie ihre Unterschlüpfe und kehrten in Bauernhäusern ein, waren den Bauersleuten bei ihren Arbeiten behilflich und machten sich auf jede Weise nützlich, ohne viel zu reden und ohne viel in Anspruch zu nehmen.

So kam auch, wie die Sage erzählt, in ein einsames Bauernhaus in der Nähe von Grünau, der freundlichen Ortschaft in der weiten grünen Au, am tiefgrünen Flüßchen Alm, umgeben von höheren Waldbergen, ein solches Bergmännlein, tat hier Dienste und ließ sich längere Zeit zu allerhand Arbeiten gebrauchen. Der Bauer stellte dem Männlein gewöhnlich ein "Pfannkoch" hin, das es immer mit bestem Appetit verzehrte; damit war es zufrieden.

Der Bauer meinte, weil das Männlein so fleißig und anschicksam sei, müsse er ihm auch einmal einen Lohn geben, und steckte einen Silbergroschen in das Pfannkoch. Als das Männlein das bemerkte, stand es vom Essen auf, verließ klagend und traurig das Haus und ließ sich niemals wieder darin sehen.

Noch einmal kam zu diesem Bauernhause ein anderes Bergmännlein und hielt sich geraume Zeit darin auf; auch dieses ließ sich zu allerlei Diensten und Geschäften gebrauchen. Eines Tages aber erschien ein ebensolches Männlein und rief dem Hauschännlein zu: "Auf und ziehe fort; der Haferstadl ist tot!" Da brach es in bitterliches Weinen aus, verließ das ihm liebgewordene Haus und kam nicht mehr zurück.

In das vorerwähnte Bauernhaus kamen nicht nur Bergmännlein, sondern eines Tages kam auch ein Bergfräulein und heimte sich dort ein. Es hielt sich längere Zeit dort auf, tat allerlei Verrichtungen und wurde auch immer zum Essen eingeladen. Wenn der Bauer vor dem Essen den Spruch tat: "Gesegns Gott!", dann lachte es immer aus vollem Herzen. Einmal vom Bauern um den Grund ihres so fröhlichen Lachens befragt, erwiderte es: "Weil es ihn immer so danireißt!" Sie sah nämlich, wie der Teufel, der gerne am Tische Platz genommen hätte, durch den frommen Spruch des Bauern vertrieben wurde. Die Leute konnten den Teufel, der in einer Tarnkappe steckte, nicht sehen, jedoch das Bergfräulein, das bei dieser Gelegenheit immer so herzlich lachen mußte.

An dem Bache, der bei diesem Bauernhaus vorbeifließt, wusch das Fräulein eines Tages die Wäsche. Da kam ein zweites Fräulein daher und rief: "Sallerl, s'Tallerl is g'storb'n!" Dann brachen beide in lautes Weinen aus, gingen fort und wurden nie wieder gesehen.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 153
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006