Die Kirche in Dietach

Wer von Steyr weg auf der Landstraße eine gute Stunde nordwärts wandert, der sieht, wenn er die Ortschaft Dornach erreicht hat und seine Blicke über die kleine Ebene schweifen läßt, am Fuße eines halbbogenförmigen Höhenzuges eine Kirche stehen, deren Turm spitz aufragt. Es ist die alte gotische Kirche von Dietach, eine der ältesten Kirchengründungen der Umgebung Steyrs.

Die Kirche, die den zwei Wetterherren Petrus und Paulus geweiht ist, steht am Fuße eines zwar schöngewölbten, sonst aber ganz kahlen Berges, der wie ein ins Riesenhafte aufgeworfener Ameisenhügel in der Landschaft liegt; er ist baumlos und deswegen nicht gerade anziehend; er hat aber einen besonders schönen Namen: er heißt Goldberg. Bis zum Jahre 1937 stand auf seinem Rücken ein großer, einsamer, mehrere hundert Jahre alter Lindenbaum mit einer mächtigen, schöngeformten Baumkrone, der den Blick des aus der Feme kommenden Wanderers schon von weitem auf sich lenkte.

In dem genannten Jahre schlug bei einem gewaltigen Gewittersturm ein aus den schwarzen Wolken fahrender Blitz in den Baum ein und fegte ihm die herrliche Krone vom Stamm. Im Jahre 1940 wurde der vom Blitz zum Krüppel geschlagene Lindenbaum ausgereutet und, einem alten Herkommen getreu, eine junge Linde gepflanzt.

Vor dreißig Jahren führte von der Kirche eine schmale Brettel­Stiege den steilen Goldberg hinan zum alleinstehenden Lindenbaum, der mit Heiligenbildern behangen war und vor dem eine hölzerne Betbank stand. Heute sind von der einstigen Stiege nur noch kümmerliche, von Gras überwachsene Reste vorhanden. Wer hinaufsteigt zum Rücken des Goldberges wird belohnt durch den herrlichen Ausblick auf das südliche Ennstal und auf die graublauen Felsenberge der Alpen. Der Goldberg mit seinem einstigen bilderbehangenen Lindenbaum mag in alter Zeit gewiß eine mythologische Bedeutung gehabt haben.

Die Kirche von Dietach, so weiß eine uralte Sage zu berichten, wollte man auf dem Rücken des Goldberges erbauen. Das Baumaterial, das man tagsvorher mit vieler Mühe auf den Berg geschafft hatte, lag am Morgen drunten in der Ebene, am Fuße des Goldberges. Man sah das als ein Zeichen des Himmels an und erbaute sie dort, wo sie heute steht. Auf dem Goldberge aber pflanzte man eine Linde, die, groB geworden, zum heiligen Bildbaum wurde. Die Kirche von Dietach wird geheimnisvoll auch eine "heimliche" oder "verborgene" Kirche genannt.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 187
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006