Der Fenstersturz

Hoch droben auf dem Hange des mit düsterem Walde bewaldeten 1093 Meter hohen Hirschwaldsteines, wo einst das wilde, schauerliche Geheul der Wölfe war, erhebt sich ein hoch und schroff aufragender fast freistehender Steinfelsen, auf dem die heute noch am besten erhaltene mittelalterliche Ritterburg Alt­Pernstein steht. Es ist die Stammburg der längst ausgestorbenen Familie derer von Bärenstein.

Über einen tiefen Graben führt eine aus drei Bögen bestehende steinerne Brücke in die Burg, an der noch der Forscher mittelalterlicher Baukunst und ritterlichen Wesens seine Studien machen kann. Da gibt es noch den Streitturm und den Hungerturm, die Waffenkammer, den Rittersaal und die Burgkapelle, den Burgzwinger, die Burgverliese mit den barbarischen Gefängnisräumen, die engen steilen Stiegen und anderes mehr; da sind noch die Erkerfenster, von denen die Burgfrauen hinaus blickten auf die Wälder, hin auf die im Sonnenschein leuchtenden, langgezogenen, hoch und schroff aufragenden Felsenberge der Falken- und Kremsmauer ; sie richteten ihre Blicke hinunter in das grüne, fruchtbare und liebliche Tal der Krems. Der Zugang zur Brücke der Burg war durch einige Türme auf dem Abhang des Hirschensteins gedeckt, deren Reste noch vorhanden sind.
Die Burg Alt-Pernstein, die zum erstenmale im Jahre 1063 urkundlich genannt wird, besaßen vom 11. bis ins 13. Jhdt. die Herren von Pernstein. Besitzer der Burg war dann Ulrich von Truxen, dann Eberhard von Wallsee, der Stifter des Klosters Schlierbach. Hierauf besaß sie Hans von Lichtenstein, aber nur ein Jahr; er wurde vom Herzog Albrecht, dessen Hofmeister er war, aus politischen Gründen auf seiner eigenen Burg Pernstein gefangen gesetzt. Weiters besaß die Burg um 1623 der berüchtigte und wegen seines grausamen Würfelspiels auf dem Haushamerfelde von den Bauern tödlich gehaßte bayerische Pfandvogt Graf Adam Herberstorff. Von seiner Witwe Maria Herberstorff kaufte im Jahre 1630 das Stift Kremsmünster die Burg, in dessen Besitz sie heute noch ist.

Der Burg Alt-Pernstein gegenüber, am linken Ufer des Kremsflusses, stand ebenfalls auf einem steilen Felsen des sogenannten Türnhamberges die erstmals im Jahre 1110 urkundlich erwähnte Burg Schellenstein. Von dieser Burg sind aber nur noch wenige Mauerreste vorhanden. Ein Bruder des Burgherrn von Pernstein besaß diese im Mittelalter ebenfalls bedeutende Burg.

Eine schauerliche Sage knüpft sich an die Burg Alt-Pernstein. Der Pernsteiner und der Schellensteiner waren, wie gesagt, Brüder. Der Pernsteiner war ein gewaltsamer, wilder Herrscher, dessen Willkürtaten im ganzen Kremstal bekannt und verrufen waren.

Hingegen war sein Bruder, der Schellensteiner, seiner guten menschlichen Eigenschaften halber überall im Lande geachtet und geschätzt. Zudem war er wohlhabender als sein Bruder, der Pernsteiner, der ihn deswegen grimmig haßte. Ja, er wollte ihn ermorden. Neid, Mißgunst und Eifersucht ließen den Pernsteiner einen teuflischen Plan ersinnen, den er auch ausführte.

So lud er eines Tages, brüderliche Gefühle vortäuschend, seinen Bruder zu einem Festmahl auf die Burg Pernstein. Der Schellensteiner, voll Freude über die Wandlung im Herzen seines Bruders, nichts Böses ahnend, folgte der freundlichen Einladung und begab sich arglos in die Burg seines Bruders, des Bärensteiners.

Während des Mahles, das bis spät in die Nacht hinein dauerte, ließ der Pernsteiner von seinen Knechten, die ebenso schlecht waren wie er selber, die Burg seines Bruders in Brand stecken. Als er die Flammen emporlodern sah, trat er an das Fenster und rief seinem Bruder zu, daß seine Burg in Flammen stehe. Dieser, um sich davon zu überzeugen, eilte zum Fenster, beugte sich weit über die Brüstung hinaus und sah schreckerstarrt hin auf seine in der Ferne lichterloh brennende Burg. In diesem Augenblick stürzte der Pernsteiner seinen Bruder aus dem Fenster, die turmhohe Felswand hinab, wo er tief drunten zerschmettert tot liegenblieb.

Den schuldbeladenen Bärensteiner soll, wie die Sage weiter erzählt, ob seiner ruchlosen Mordtat heftige Reue ergriffen haben. Er sühnte sein Verbrechen, indem er als Kreuzfahrer unter Barbarossa in das Heilige Land zog, aus dem er nicht mehr zurückkehrte.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 156
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006