Der "Manderlmaler-Maurer"

In einem Wiesengraben unterhalb der Rebensteinermauer, einem zerklüfteten Grauwakenfelsen, liegt ein Häuschen, das zur Pfarre Laussa gehört. In diesem Häuschen lebte und wirschaftete vor längerer Zeit, wie die Leute sagen, ein geistig etwas beschränkter, aber sonst nicht gerade ungeschickter Handwerker, ein Maurer, der wegen seiner Geschäftssonderbarkeit weit und breit der "Manderlmaler-Maurer" genannt wurde. Wenn irgendwo ein Unglücksfall passierte, der einen tötlichen Ausgang genommen, dann kamen die Angehörigen des Verunglückten zu unserem Maurer und ließen ein Bild auf Holz oder Blech, ein sogenannte Marterl, malen, das den Vorgang des tödlichen Geschehens recht lebendig und originell darstellen sollte, was er zufolge seiner blühenden Phantasie immer zur Zufriedenheit der Besteller ausführte und weswegen er auch die Bezeichnung "Manderlmaler-Maurer" erhalten hatte. Sonst aber haperte es ein wenig in seinem „Kapitorium“, wie die Bauern gerne spottweise das Hirn nennen.

Eines Tages gab des Maurers einzige Kuh keine Milch mehr. Lange stand er sinnend vor seinem Zweihufer weiblichen Geschlechts und bedachte, was wohl die Ursache sein könnte. Plötzlich zuckte es wie eine Erleuchtung durch sein Gehirn, vulgo Kapitorium. "Aha", sagte er zu sich selber, "ist die Hex' im Spiel; na wart' dir werd' ich aber gleich helfen!" Damit meinte er eine gewisse Söldenbäuerin in der Gegend, unweit von seinem Hause, die weitum im Rufe einer Hexe stand.

Rachebrütend lenkte er seine Schritte in die Werkzeugkammer, entnahm ihr eine schwere Eisenstange, wie man sie zum Löchermachen auf dem Kleefelde verwendet, bevor die Kleehüfeln in die Erde gerammt werden. Er machte die rübenförmige Spitze glühend, ging, die Eisenstange vor sich hertragend, eilenden Fußes dreimal um das Häusel und stieß sie voll Wut an einer Ecke unter der Dachtraufe in das nasse Erdreich, daß es zischend aufqualmte. "So", stieß er zwischen den Zähnen hervor, "jetzt wirst du genug haben, mein' ich!" Und die Hexe hatte genug; denn sonderbarerweise starb in der folgenden Nacht die so gefürchtete Söldenbäuerin. Ob nun die Kuh des "Manderlmaler-Maurers" die ersehnte Milch wieder gab, wie sie das früher so folgsam tat, das meldet die Sage nicht.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 115
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006