Der Pfennigstein bei Losenstein

Zu den bedeutsamsten mythologischen Denkmalen aus germanischer Vorzeit gehören unstreitig die sogenannten Pfennigsteine. Es sind Fenes- (Venus) oder Muttersteine. Sie haben unten einen Spalt, durch den die Landleute heute noch kriechen; denn das Durchkriechen, das unbeschrien (schweigend) und ohne Rückblick geschehen muß, soll das Kreuzweh und andere Krankheiten verhüten und heilen. Die Pfennigsteine verkörpern das weibliche Prinzip der Zeugung, während die Phallussteine das männliche Prinzip versinndeutlichen und meistens Peilsteine oder auch Spindelsteine genannt werden. Einer der bekanntesten Pfennigsteine befindet sich im Brühl bei Mödling, der bezeichnenderweise auch "Mutterhörndl" genannt wird.
Auch das schöne Ennstal besitzt einen solchen Pfennigstein. Er steht hoch droben unweit der Hackermauer, eine Stunde von Losenstein entfernt und gehört zum Gebirgsstock des Schiefersteines. Eine Wanderung zu dem stillen, einsamen Pfennigstein auf lichter Höhe bietet dem Naturfreund ein schönes Ausflugsziel. Auf dem Wege dahin - wenn Losenstein als Ausgangspunkt genommen wird - kommt der Wanderer zum Friedhof, der eine Viertelstunde außerhalb des Ortes auf einer Hochfläche liegt. Gegenüber dem Eingang steht eine alte, sturmzerzauste, aber stattliche Föhre, an deren Stamm ein paar alte, vom Regen verwaschene Heiligenbilder hängen. Die mehrhundertjährige Föhre - sie steht unter Naturschutz - ist ein sagenumwobener Baum. Der Pfennigstein ist an der Vorderseite - von der Hackerweide aus gesehen - gut sechzig Meter hoch. Er ist sehr steil, aber es fehlt ihm das Loch zum Durchkriechen, wie das bei Pfennig- oder anderen durchlochten Steinen der Fall ist. Zum Durchkriechen hat ihn die Natur nicht eingerichtet. Und dennoch ist er ein Venus- oder Mutterstein. Die Natur hat die weiblichen Merkmale in anderer Art in den Stein eingegraben; sie sind trotz jahrhundertelang anhaltender Verwitterung noch gut zu erkennen; es ist dazu keine allzugroße Phantasie notwendig.

Die Sage erzählt: Einmal hat einer gewettet, daß er um einen Pfennig zum Gipfel emporklimmt, was die Leute nicht glauben wollten. Er gewann die Wette und einen - goldenen Pfennig. Seitdem heißt der Stein "Pfennigstein". Die Bauern aber nennen den Stein ganz richtig "Fen- oder Pfenstoa".

Der Pfennigstein ist ein gefährlicher Stein. Junge Leute, die hierherkommen, mögen sich hüten, ihn zu erklettern; es sind schon etliche abgestürzt und an seinem Fuße tot liegengeblieben oder schwerverletzt weggetragen worden. Der steil aufragende Stein läßt sich das Umherklettern in seinen senkrechten und glatten Wänden nicht gerne gefallen.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 104
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006