Die Kirche von St. Ulrich

Wer von irgendeiner Stelle der Stadt Steyr nach Süden schaut, hinein ins Gebirge, der sieht in etwa eineinhalbstündiger Entfernung einen schöngewölbten, mäßighohen grünen Berg aufragen, über den einige im Hintergrunde stehende höhere Berge des Ennstales, blau vom Dunst der Ferne, herübergrüßen. Er ist etwas niedriger als sein Nachbar, der steile, waldbekrönte Sturzberg und heißt Stöderberg. Sein Gipfel wird die "Lirker-Höh'" oder der "Lirker-Kogel" genannt.

Am westlichen Rande dieses Kogels stand viele Jahre im Schutze eines breitästigen Birnbaumes ein blutrot angestrichenes Holzkreuz, an dem drei Bilder hingen: das sogenannte "Lirker-Kreuz". An der Hinterseite hatte es eine nach unten halbrund zulaufende Holzverschalung in der Form eines Priester-Meßrockes; ein Bretterdach schützte es vor Unwettern. Es stand mitten in einem von niedrigem Holzgitter umschlossenen, liebevoll betreuten Blumengärtlein. Eine Bank davor lud zur Rast. Wer je einmal auf dieser Bank saß und seine Blicke in die Runde schweifen ließ, wird entzückt gewesen sein von dem lieblichen Landschaftsbilde, das er von hier aus beschauen konnte.

In der Nähe ist ein kleiner Weiher, dessen Wasser selbst in Zeiten großer Dürre nicht versiegt, denn es ist ein aufquellendes Wasser. Hier ist ein Wiesenböndl, das einen merkwürdigen Flurnamen hat: es heißt der "Römische Hof".

Vor mehreren hundert Jahren, so berichtet eine alte Überlieferung, ist hier ein Bauernhof gestanden, der diesen Namen führte; er ist abgebrannt, aber nicht wieder aufgebaut worden. Die Sage erzählt, daß hier Römer begraben sind. Vielleicht stand hier einst ein römischer Wacht- und Aussichtsturm, von dem aus sehr leicht die Vorgänge im Ennstal beobachtet werden konnten. Auch soll hier ein Schatz vergraben sein.

Der "Lirker-Kogel" ist von vielen uralten Sagen umsponnen. Wie eine dieser Sagen erzählt, sollte auf dem Kogel einst eine Kirche erbaut werden. Man hatte schon Baumaterial hinaufgebracht. In der Frühe, wenn die Handwerker zur Baustelle kamen und die Arbeit beginnen wollten, waren Baumaterial und Werkzeuge weg; sie fanden sich auf einem Platz des Berges nahe bei Steyr, auf dem heute die Kirche des Dorfes St. Ulrich steht. Man sah diesen Platz als einen von Gott gewünschten Bauplatz an und erbaute die Kirche dort. So ist die Sage. Auf dem Lirker-Kogel aber, wo man die Kirche erbauen wollte, errichtete man ein Kreuz: Das "Lirker­Kreuz". Im Jahre 1949 kam das Kreuz weg und an seiner Stelle steht heute eine Kapelle.

Eine andere Sage berichtet: Der Berg, auf dem heute das Dorf St. Ulrich liegt, war in alter Zeit noch mit Wald bedeckt. In diese Waldeseinsamkeit zog sich ein Mönch des Klosters Garsten zurück, baute sich eine Hütte und in der Nähe eine hölzerne Kapelle und lebte hier als Einsiedler. Als der Klausner längst gestorben war, ließ Abt Florian I. von Garsten auf dem Berge mit der schönen Aussicht ins Gebirge 1411 eine Kirche bauen. Sie wurde dem Hl. Ulrich geweiht, der einst Bischof von Augsburg gewesen; er war ein gar kriegerischer Herr, der zuweilen den Bischofstab mit dem Schwert vertauschte. Neben der Kirche stand bis in die jüngste Zeit eine uralte Linde. Eine fast vergessene Sage raunt auch von einem "heiligen Brunnen" unweit der Kirche von Sankt Ulrich.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 71
Emailzusendung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006