Der "Teufelsturm" bei Waldneukirchen

Im Steyrtale, einem der lieblichsten Täler Oberösterreichs, gab es einst viele Burgen, von denen aber mit Ausnahme der spärlichen Überreste der Burg Leonstein und der noch ziemlich gut erhaltenen Burg Klaus nichts mehr vorhanden ist. An Stelle der einstigen Burgen Steinbach, Grünburg und Frauenstein stehen heute Kirchen, die aber auch schon Hunderte Jahre alt sind. Diese vielen Burgen auf einer verhältnischäßig kurzen Wegstrecke sind ein Zeichen dafür, daß das herrliche Tal, durch das der grüne Alpenfluß, die Steyr, von Bäumen und Sträuchern beiderseits be säumt, in vielgewundenem Lauf geschäftig eilt, in uralter Zeit schon reichbesiedelt gewesen sein muß.

Zu den genannten fünf Burgen gesellte sich einst eine sechste Burg, von der aber heute auch nichts mehr vorhanden ist, nur ein runder Schacht, der tief und senkrecht in das Konglomeratgestein gehauen ist, wird noch als Überrest dieser Burg bezeichnet. Diese Burg wird urkundlich kaum erwähnt, sondern ist nur sagenmäßig als Solche bekannt. Es ist der sogenannte "Teufelsturm" bei Waldneukirchen.

In einer Niederung der smaragdgrünen Steyr, etwa eine halbe Stunde von dem hochgelegenen Dorfe Waldneukirchen entfernt, liegt am Flusse und angeschmiegt an den Berghang die etwas langgezogene Ortschaft "In der Höll". Am Ende dieser Ortschaft, wo die Straße über den Kernstockberg sachte anzusteigen beginnt, öffnet sich rechterhand eine mit Waldbäumen und Sträuchern wild bewachsene Schlucht, die sich tief in den Berghang hinein­zieht und "Teufelsgraben" genannt wird. Der breite Eingang in diese sonst enge und finstere Schlucht, aus welmer der "Teufelsbach" hervorkommt, ist so recht ein Platz zum Aufenthalt für fahrende Zigeuner. Drüber dem Bache, der in die Steyr mündet, erhebt sich ein steiler, dichtbewaldeter Kogel, auf dem einst, wie die Sage berichtet, der "Teufelsturm" gestanden.

Über den mäßig ansteigenden Kernstockberg führt die Straße vorüber an der Teufelsturmsölde bis hinauf zum Rücken des Berges, wo zwischen dem "Kreuzhäusl" und dem "Kreuzhäuslwirt" die Waldneukirchner Straße von der Steyrtalstraße abzweigt. Gegenüber dem uralten, kleinen greisenhaften Kreuzhäusl steht eine alte Kapelle, bei der einst ein uralter mächtiger Lindenbaum gestanden. Die Kapelle, die zum Bauernhause Leimberger gehört, wurde erbaut im Jahre 1669, wahrscheinlich an der Stelle eines Kreuzes, von dem das Kreuzhäusl seinen Namen erhalten hat. Eine alte Mär erzählt, daß in der Nähe des Teufelsturmes einst eine Richtstätte gewesen sei. Die Örtlichkeit, wo heute das schöne Kreuzhäuslwirtshaus steht, hieß einst "Niederöd". Öd bedeutet einsam, wüst und ist eine von den Leuten gemiedene Örtlichkeit. Vielleicht war hier vor langer Zeit die erwähnte Richtstätte? Wenn dem so wäre, dann würden die Kapelle, Kreuz, Kreuzhäusl usw. ihre Erklärung finden; denn unweit des Hochgerichtes stand immer ein Kreuz, ein Bildstock oder eine Kapelle, wo für den zum Tode Verurteilten auf seinem letzten Gange Gebete gesprochen wurden und wo er von seinen Angehörigen Abschied nahm.

Den Teufelsturmkogel umschließt zur Hälfte der "Teufelsgraben". Am Rande des Kogels, u. zw. dort, wo tief unten der Teufelsbach plätschernd durch die Schlucht eilt, befindet sich ein runder, senkrechter Steinschacht, der. ungefähr fünf Meter tief ist und zweieinhalb Meter Durchmesser hat. Dieses große Steinloch, das durch hineingeworfene tote Tiere, Laub und Unrat viel an Tiefe verloren hat, soll wie es heißt, der Brunnenschacht der Burg gewesen sein und bis hinunter zum Bach gereicht haben. Heute wird das seltsame Loch"Teufelslucka" genannt und als der Überrest des "Teufelsturmes" angesehen. Wahrscheinlich ist schon zur Römerzeit hier ein Wachtturm gestanden zur Sicherung der wichtigen Steyrtalstraße. Im Mittelalter mögen hier die fehdelustigen und ein wenig raubritternden Rohrer, ein bayerisches Adelsgeschlecht, eine kleine Burg erbaut haben.

Zahlreich sind die Sagen, welche die Örtlichkeit des Teufelsturmes geheimnisvoll umspinnen und von den Leuten verschiedentlich erzählt werden. Einst, so erzählt der Volkschund, stand auf dem waldumsäumten Kogel eine Burg, die einen gar mächtigen und starken Turm hatte. In der Burg hausten weit und breit gefürchtete Raubritter, welche die unten auf der Straße vorüberziehenden Kaufleute überfielen, ausraubten und erschlugen, wenn sie sich zur Wehr setzten. Die Ritter wurden ausgerottet, die Burg verfiel, nur der Turm blieb stehen, von dem der Teufel Besitz ergriff. Mit der Glocke, die im Turme hing, rief er nächtens seine Leute zusammen. Um die Mitternachtszeit fuhr er mit Roß und Wagen unter weithin schallendem Getöse durch die Höll, bis man ihm das Handwerk legte, indem man drei Kreuze setzte, an denen er nicht vorüber konnte. Nun gab der Teufel endlich Ruhe. Längs der Straße in der Ortschaft Höll stehen drei Kreuze, die mit dieser Sage in Verbindung gebracht werden: Das Höllerkreuz, das Höllerhäuslkreuz und das Heniflorkreuz. Nach einer anderen Sage soll den Teufel ein frommer Mönch fortgebannt haben, worauf dann der Teufelsturm versunken sei.

Auf dem Teufelsturmkogel in der Höll, so erzählen manche Leute, stand einst eine Kirche, im Turme hingen drei Glocken. Kirche und Turm aber sind vor langer Zeit versunken. Die uralten mythologischen Orts-, Häuser, Bach- und Flurnamen, die hier anzutreffen sind und die zahlreichen höchst merkwürdigen Sagen, die die Örtlichkeit des Teufelsturms geheimnisvoll umspinnen, beweisen, daß hier einst eine vorchristliche Kultstätte war. In grauer Vorzeit mag auf dem Teufelsturmkogel der durch das Christentum zum Teufel verwandelte Gott Loki seine Heilstatt gehabt haben. Seine Tochter war Hel, die Göttin der Unterwelt, verchristlicht : Hölle. Und unten an der Steyr ist die Ortschaft "In der Höll". Der Gegensatz zur finsteren Unterwelt ist der lichte glänzende Himmel. Auch dieser Gegenpol ist in einem Hausnamen vertreten. Auf dem Hange des Berges, auf dessen Rücken Waldneukirchen liegt, steht ein Kleinbauernhaus mit der freundlichen Bezeichnung "Im Himmelreich". Und zwischen Höll' und Himmelreich erhebt sich der Teufelsturmkogel.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 136
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006