Die Tillysburg

Zwischen Enns und St. Florian liegt auf einem mäßig hohen Berg die große, würfelförmige Tillysburg mit ihren vier stumpfen, vierkantigen, oben flachen Ecktürmen. Das weißgraue Gemäuer der Burg leuchtet weit hinaus ins Donautal und in das liebliche, fruchtbare Tälchen der Kleinen Ipf, soweit die Sträucher und die hohen Bäume, die die Burg schützend umgeben, dies gestatten. Der aus dem Dreißigjährigen Krieg bekannte Oberfeldherr der katholischen Liga Johann Tserclas Graf von Tilly ließ diese Burg erbauen, erlebte aber, da er früher starb, die Fertigstellung nicht mehr; erst sein Neffe vollendete den Bau. Tilly war nicht nur ein tüchtiger Feldherr, sondern auch ein ausgezeichneter Schachspieler. Er soll die Pläne zum Bau der Tillysburg selbst gemacht haben, die er schachbrettartig aufgeführt wissen wollte, mit vier, gleichhohen, barocken Ecktürmen als Verzierung.

Obwohl Graf Tilly die Vollendung der Burg nicht mehr erlebt hat, wird von ihm doch folgende Sage erzählt: Als der große Feldherr Graf Tilly nach langer Abwesenheit eines Tages mit Gefolge über den Schiltenberg geritten kam, hielt er sein Roß an und schaute eine Weile hin auf die viertürmige Burg, die in der Ferne weißschimmernd im Sonnenlicht auf dem Rücken des Berges stand. Und je länger er hinsah, desto mehr verfinsterte sich sein Gesicht. Er hob seine Hand und zeigte hin auf die Burg.

Enttäuscht rief er aus: "Was, das soll eine Burg sein? Das ist ein Vogelhaus! In diesem will ich nicht wohnen." Unwillig riß er sein Pferd herum, es stürzte und warf seinen Reiter auf die Straße.

Die Burg wechselte im Laufe der Zeit ihre Besitzer. Viele Jahre vergingen. Der Zahn der Zeit nagte an den Mauem und an den Türmen. Und so weiß wieder eine Sage zu erzählen: Als die Burg noch ihre vier gleichhohen Ecktürme hatte, die Türme jedoch aus irgendeinem Grunde ihre Zwiebeldächer verloren, so daß sie wie vierkantige Beine eines einfachen Bettes in die Luft ragten, sah die rechteckig gebaute Burg von ferne einer umgestülpten Bettstatt sehr ähnlich. Die Bauern nannten sie daher spottweise "die um'kehrte Bettstatt."

Das verdroß den damals regierenden Burgherrn und er ließ ­ so berichtet der Volksmund - von dreien der Türme je einen Teil abtragen und dem vierten, dem Nordostturm, aufsetzen. Nun war dieser Turm ein gutes Stück höher als die drei anderen Türme. Das hätte aber der Burgherr lieber nicht tun sollen. Denn die Bauern, die immer schnell einen passenden Vergleich zur Hand haben, nannten nun die Burg "die verpfuschte Bettstatt".

Dieser neckische Vergleich der Bauern war aber ein recht harmloser gegenüber jenem Vergleich, den ein Standesgenosse des Burgherrn zum besten gab. Eines Tages lud, so weiß die Sage zu erzählen, der Burgherr viele Burgherren aus der näheren und weiteren Umgebung zu einem Zechgelage auf seine Burg. Der Wein floß, wie man schon damals landläufig und etwas übertreibend zu sagen pflegte, in Strömen. Die Herren ließen sich's nicht zweimal sagen, daß sie keine tüchtigen Zecher wären. Die großen Humpen machten immerwährend die Runde, und alle setzten dem köstlichen Naß tüchtig zu.

Als alle dort waren, wo der klare Verstand aufhört und die Narrheit anfängt, tat der gastgebende Burgherr, der selber nicht mehr ganz nüchtern war, die wunderliche Frage, welche der vielen Burgen im weiten Umkreis wohl die schönste sei. Die Herren stutzten zuerst über die in gegenwärtigem Zeitpunkt so unpassende Frage, die der Burgherr noch einmal wiederholen mußte. Nun lobte jeder seine eigene Burg oder die Burg seines Nachbarn.

Nur die Burg des Gastgebers erwähnte keiner, so sehr der Burgherr darauf wartete; denn er wollte seine Burg als eine der schönsten erwähnt wissen. Aber keiner dachte daran, dies zu tun. Das verdroß den Burgherrn und er fragte: "Nun, und was sagen die Herren zu meiner Burg?" Rundherum tiefes Schweigen.

Da rappelte sich endlich einer der Edelinge von sehrem hochlehnigen Stuhl auf. Etwas schwankend, auf seinen Beinen nicht mehr recht standfest, den vollen, schweren Humpen in der Hand, tat er mit schwerer Zunge den nicht gerade geistreichen Ausspruch: "Dö Burg - döi Burg - dös - döis - is - is - mit Verlaub - a - a um'kehrts Spucktrücherln. Dumm lachend ließ er sich auf seinen Stuhl fallen. Dröhnendes Gelächter erscholl in der Runde über diesen sonderbaren Vergleich. Wer aber, trotz seines stark angeheiterten Zustandes, nicht lachte, das war der gastgebende Burgherr.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 194
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006