Die Kirche von Wolfern

Eine kleine halbe Stunde westlich des Kirchdorfes Wolfern steht auf einer Anhöhe, über welche die Straße nach Losensteinleiten zieht, eine schöne, schlanke, steinerne Kreuzsäule, genannt das "Weiße Kreuz". Auf dieser Kreuzhöhe sollte, wie die Sage berichtet, die Kirche von Wolfern erbaut werden. Man brachte Steine und anderes Baumaterial dorthin. Des Nachts aber kam der Teufel mit einem Fuhrwerk, lud alles auf seinen Wagen und raste mit Höllenlärm hinein nach Wolfern, wo er es ablud. Dreimal brachte man das Baumaterial auf die Anhöhe und dreimal schleppte es nachts der Teufel wieder nach Wolfern. Nun erbaute man die Kirche dort, wo sie heute steht. Und dort auf der Anhöhe, wo man die Kirche erbauen wollte, setzte man später ein hohes Kreuz und nannte es das "Weiße Kreuz".

Von diesem Kreuz auf der Höhe genießt der Wanderer eine herrliche Fernsicht auf das in blauen Dunst gehüllte Gebirge, über das Hügelland und in das von den Mühlviertler Bergen begrenzte Donautal. Die Wolfener Kirche, die dem von dem Bauernvolk sehr beliebten Schimmelreiter St. Martin geweiht ist, stände besser an der Stelle des Kreuzes, nicht allein wegen der schönen Rundsicht, sondern auch deshalb, weil in weitem Kreis um die allseits breit verlaufende Anhöhe, wie um einen Zentralpunkt, jene vielen Ortschaften liegen, die zusammen die Gemeinde Wolfern bilden. Namdem der Teufel, so erzählt die Sage weiter, das Baumaterial mit seinem Fuhrwerke von der Kreuzhöhe mit viel Lärm, Geschrei und Getöse auf den Platz gefahren und dort abgeladen hatte, arbeitete er auch selber mit Fleiß und Geschick beim Bau der Kirche mit, selbstverständlich unter der Bedingung, daß jenes Geschöpf als Lohn ihm gehören müsse, daß nach Vollendung des Kirchenbaues als erstes die heiligen Hallen beträte, was man ihm auch zusagte. Der Teufel dachte dabei selbstverständlich an eine Menschenseele, deren eine er wieder einmal in sein höllisches Reich mitnehmen wollte.

Als es so weit war, daß die Kirche aufgebaut war und prachtvoll dastand, jagte man einen Wolf in die Kirche. Der Teufel sah dem Wolf mit einfältig-dummem Gesicht nach, beutelte verdrieBlich sein hörnerbewehrtes Haupt und zog es vor, unbemerkt und geräuschlos zu verschwinden. Der geprellte und auf solche Art um seinen Lohn betrogene Teufel war zu keiner Menschenseele gekommen, die Leute aber zu ihrem Ortschaftsnamen Wolfern.

Quelle: Franz Harrer, Sagen und Legenden von Steyr, mit freundlicher Genehmigung vom © Wilhelm Ennsthaler Verlag, Steyr 1980, S. 180
Emailzusedung von Norbert Steinwendner, am 11. April 2006