Der Kindskogel

Eine Sennerin scherzte mit ihrem Buhlen, indes ihr Kindlein unten am Anger spielte. Das Mutterauge wachte nicht schützend über dasselbe und sah auch nicht den Adler, der hoch oben in den Lüften auf die kostbare Beute lauert, die sein Blick erhascht hat. Jetzt fährt er mit Blitzesschnelle herab auf das arme Kindlein, packt es mit den scharfen Krallen und führt seinen Raub empor ins Felsennest, wo die jungen Adler schon des leckeren Bratens harren. Ein entsetzliches Jammergeschrei des Kindes durchzittert die Lüfte - Mutter und Buhle stürzen herbei, erstarren aber im Momente zu Stein. Die gerechte Strafe für beide, da sie das Leben des Kindes so gering geachtet und sich nicht früher um dasselbe gekümmert hatten. Der Fels hat seitdem den Namen" Kindskogel ". Geht eine Mutter unter ihm vorüber, dann drückt sie ihr Kind ängstlich fester an sich.

Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd.1, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 378, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 150.