Der silberne Hirsch

Hannes Prennstaller - so hieß ein Holzknecht, der einst im Flachgau lebte und weit und breit als gefährlicher Wildschütz bekannt war. Er war ein wüster Gesell, und die ehrliche Arbeit war ihm verhaßt. Sein Sinn und seine Leidenschaft galten nur der Jagd. In seiner Jugend hatte er wohl auch damit begonnen, das edle Weidwerk zu erlernen. Doch er mißachtete alsbald die Pflicht, wollte jagen wie, wo und wann es ihm paßte und scherte sich einen blauen Dunst um Gebote und Gesetz. So kam es, daß der Jäger, welcher gern aus ihm einen ehrlichen Weidmann gemacht hätte, ihn schließlich seiner bösen Streiche wegen fortjagte. Einige Zeit zog nun Hannes im Flachgau umher, versuchte es da und dort, aber die Arbeit wollte ihm nicht schmecken. Schließlich verdingte er sich als Holzfäller, weil er da hoffte, am ehesten unbemerkt seiner Wildererleidenschaft frönen zu können.

Eines Tages war es wieder soweit, und als er durch den Hochwald dem Schlag entgegenstieg, wählte er wie schon so oft einen einsamen Seitenpfad, ließ die Arbeit den anderen und stieg über die Marbachalpe das Penzeck hinan. Wohl kannte er genau jeden Wildwechsel und Jägersteig, gelangte auch schließlich an eine Stelle, von der er sicher wußte, daß sie auf Gemsen einen guten Stand bot.

Weit sah er von hier aus ins Land hinein, denn er war hoch über den Eiswänden auf steilem Grat.

Lange saß er dort, aber heute schien ihm das Jägerglück abhold, denn soviel er auch spähte, ließ sich doch keine Gemse blicken. Wild fluchend gab er es endlich auf und stieg wieder ab zum Hochwald. Er schwor sich, daß er das nächste Tier erlegen wollte, einerlei was es sei. Er war schon ein gutes Stück im Hochwald abgestiegen, da knisterte und raschelte es plötzlich im Laub, und es knackste wie brechendes Geäst. Prennstaller blieb wie angewurzelt stehen, hielt den Atem an und sah in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Plötzlich brach es durch das Dickicht; im selben Augenblick hatte Hannes schon seinen Stutzen an der Wange und wollte schon abziehen - doch wie vom Blitz getroffen starrte er der Erscheinung entgegen, ohnmächtig, auch nur den Finger zu krümmen. Kreidebleich taumelte er einen Schritt zurück, ließ den Stutzen sinken, und kalte Schauer jagten ihm über den Rücken - denn wenige Schritte vor ihm stand, wie aus Silber gegossen, majestätisch und unnahbar, ein silberweißer Zwölfender!

Starr und warnend bannten seine Lichter den Wildschütz, der noch immer nicht fähig war, sich zu rühren. Wie eine Zentnerlast wog der handliche Wildererstutzen in seiner verkrampften Faust. Prennstaller wollte sich zusammennehmen, wollte den Bann abschütteln und versuchen, den Stutzen noch einmal hochzureißen - aber vergeblich! Zitternd bis ins Mark wich er Schritt für Schritt vor dem niederzwingenden Blick des Unheimlichen zurück, und nun schoß es ihm auch durch den Kopf, daß er von seinem alten Jäger und manchen anderen gehört hatte, daß, wer dem Wildfrevel fröne, früher oder später einmal dem silberweißen Hirsch begegnen werde, womit freilich auch sein Leben verwirkt sei, wenn er nicht unverzüglich vom Wildern ablasse.

Längst war der Mächtige wieder verschwunden. Doch Prennstaller mußte noch immer nach der Stelle hinblicken, wo er ihm erschienen war, und er gelobte hoch und heilig, nie mehr zu wildern. Von Angst erfüllt und in tiefe Gedanken versunken kehrte der Wildschütz heim. Er hütete sich, seinen Kumpanen von der
Erscheinung zu erzählen, und mancher schüttelte den Kopf über sein verändertes Wesen. Doch eines Morgens, als Prennstaller sich beim ersten Tagesgrauen anschickte, seine Sachen zu richten, fiel sein Blick wieder auf sein Gewehr. Mit magischer Gewalt zog es seine Hand nach dem Stutzen hin und sogleich war alles vergessen. Ein keckes Liedl pfeifend, warf er sein Werkzeug in die Ecke, versteckte den Stutzen unter seinem Mantel und stürmte dem Hochwald zu. Mit unwiderstehlicher Macht war in dem Haltlosen die alte Leidenschaft wieder erwacht. Aber nicht umsonst hatte ihn der "Silberweiße" gewarnt: Prennstaller kehrte nie mehr in seinen Ort zurück. -Jahre später fanden Jäger unter einer steilen Felswand Teile eines menschlichen Gerippes, ganz in der Nähe der Eiswände, die dem Wilderer wohl zum Verhängnis geworden waren.

Quelle: Karl Adrian, Alte Sagen aus dem Salzburger Land, Salzburg 1948, S. 151, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 157.