GESCHICHTE UND SAGE UM BURG WEIßPRIACH

Wenn man das Weißpriachtal, eines der romantischesten Seitentäler des Lungaues, betritt, so erblickt man zur Linken am steilen Bergabhange die weißen Mauern eines Kirchleins gar freundlich ins Tal herniederschauen. Es steht an historisch bedeutsamer Stätte, und bei seinem Anblick steigt die Vergangenheit eines großen Geschlechtes vor uns auf. An diesem Orte erhob sich die Stammburg des einst weit über Salzburgs Grenzen hinaus bekannten und berühmten Edelgeschlechtes von Weißpriach. Einer dieser Geschlechtes, Burkhard von Weißpriach, war Kardinal und Erzbischof von Salzburg (1461 — 1466). Manche der Weißpriacher hatten Hofämter inne oder werden als Landrichter und Burghüter auf Burgen des Lungaues, der Steiermark und Kärntens genannt. Die Herren von Weißpriach erbauten auch die Kirchen von Ramingstein und Zederhaus. Zwei aus diesem Geschlechte, Adam von Weißpriach (gestorben 1389) und Niklas von Weißpriach (gestorben 1468), liegen noch heute in der Pfarrkirche zu St. Michael begraben.

Die Burg Weißpriach war jahrhundertelang ein wichtiger historischer Punkt, sie war auch das Hoflager des Erzbischofs Friedrich II. von Walchen *) (1270-1284) in den Jahren 1280 und 1281. Von hier aus wurde auch die Macht der übermütigen Vasallen Otto von Saurau und Otto von Moosham gebrochen. Das einst so mächtige Geschlecht der Weißpriacher ist nun schon lange erloschen, seine Burg zerfallen, und kein Stein ruht mehr auf dem anderen. Von der ehemaligen Burg sind nur noch spärliche Mauerreste oberhalb des Kirchleins zu sehen. Alles übrige ist schon dem Erdboden gleich und vom grünen Rasen überdeckt, und nichts erinnert mehr an die Stätte einstiger Ritterherrlichkeit.

Es ist auffallend, daß um ein so hervorragendes Geschlecht wie die Weißpriacher und um ihre Stammburg nicht die Sage ihren Zauber gesponnen hat. Dies mag wohl darin seinen Grund haben, daß dieses Geschlecht samt seiner Burg schon so lange verschwunden und die Erinnerung daran im Strome der Zeit untergegangen ist. Dieses Schicksal scheint auch die Sage geteilt zu haben, denn nur spärlich fließen darüber die Quellen der mündlichen Überlieferung.

So erzählt man sich, daß die Burg fest und stark gebaut gewesen sei und daß kein Feind sie zu überwinden vermochte. Selbst die „Maultaschlin" habe sie vergebens belagert. Nach dem Aussterben des Geschlechtes der Herren von Weißpriach aber sei sie, ihrem Schicksal überlassen, in Verfall geraten. Aus ihren Steinen soll das jetzige, dem heiligen Rupertus geweihte Kirchlein mit den umliegenden Gehöften gebaut worden sein. Ein hervorragender Sproß dieses Geschlechtes war Burkhard von Weißpriach, Kardinal und Erzbischof von Salzburg **). Über ihn geht die Sage, daß er nach seinem Tode in den Untersberg entrückt worden sei und dort mit den Mannen Kaiser Karls der Zeit harre, da der Bösen viel und der Guten wenig sein werden. Dann wird ein großer Kampf anheben, und auch Burkhard von Weißpriach wird mit den Streitern des großen Kaisers aus dem Untersberg herauskommen, um wider die Feinde des Reiches und der Kirche zu streiten. In diesem Kriege, von dem einst im Volke viel die Rede war, wird Kaiser Karl mit seinen Getreuen siegen und die Feinde vernichten.

Die Glöcklein des Ruperti-Kirchleins in Weißpriach sollen nach dem Volksglauben eine besonders hohe Weihe und die Kraft haben, alle schädlichen Gewitter zu vertreiben. Wenn sie geläutet werden, müssen alle bösen Wetter weichen und können den Fluren nicht schaden. Im Volksmunde geht der Spruch: „Wenn die Ruperti-Hündla koim (bellen) und die Mogritscha schreit, und da Leahochts-Stia brüht (brüllt), dann müass'nt olle böaß'n Wetta weich'n." Damit ist das Wetterläuten im Ruperti-Kirchlein in Weißpriach, in der Pfarrkirche zu Mariapfarr und das der Wallfahrtskirche St. Leonhard bei Tamsweg gemeint.

*) Dieser Erzbischof war ein treuer Anhänger und Freund Kaiser Rudolfs von Habsburg, mit dem er auch gegen König Ottokar von Böhmen zu Felde zog.

**) Von ihm stammen auch die beiden gotischen Altäre in der Schloßkapelle Mauterndorf und St. Leonhard bei Tamsweg; sie tragen sein Wappen.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 72