Die Gemse der Wildfrauen

In der sogenannten Bergauwand bei Bucheben lebten in alter Zeit Wildfrauen, die weiße Gemsen als Milchkühe hielten.

Eines Tages stieg ein Wildschutz aus der Rauris ins Gebirge, da kam ihm eine solche weiße Gemse vor das Gewehr. Da er von diesen Tieren noch nie gehört hatte, gab er Feuer. Doch er hatte schlecht gezielt, und so lief die Gemse davon. Der Wilderer erkannte aber, daß das Tier schwer getroffen war, und er verfolgte es durch die Wände und Schroffen hin.

Plötzlich stand er vor der Höhle der Wildfrauen. Diese machten ihm schwere Vorwürfe, daß er auf ihr Eigentum geschossen habe. Als der Jäger aber beteuerte, er hätte noch nie von ihren Tieren gehört, und er werde künftig nie mehr darauf das Gewehr anschlagen, waren sie sogleich wieder versöhnt und luden ihn zum Mahl ein.

Die weiße Gemse wurde gebraten, und die Speise mundete dem Schützen gar köstlich. Die Wildfrauen aber sammelten sorgfältig jedes Knöchlein und ordneten es wie zu Lebzeiten des Tieres m dessen Haut. Dann gab eine von ihnen dem seltsamen Gebilde einen Schlag, und husch - stand die Gemse wieder auf ihren Läufen und sprang davon, daß dem Wildschütz vor Staunen der Mund offen blieb. Die Wildfrauen aber blieben noch lange Jahre in der Rauris und taten den Bauern viel Gutes.

Quelle: Josef Brettenthaler, Das Grosse Salzburger Sagenbuch, Krispl 1994, S. 177 - 179.