Ein reicher Bauer von Piesendorf
Es kommt nur selten vor, daß ein durch geheimnisvolle Schätze
Reichgewordener Befreiung von seiner verdienten Buße findet, wie
dies beim reichen Bauern von Piesendorf der Fall war. Als dieser im Sterben
lag, standen seine beiden Brüder am Bett und beteten für den
Kranken, der vom Arzt schon aufgegeben war. Er schloß auch bald
seine Augen für immer, und im gleichen Moment, da die Brüder
glaubten, die Seele des Dahingegangenen schwebe dem Himmel zu, sahen sie
vor dem Stubenfenster einen Mann vorübergehen, der ihrem verstorbenen
Bruder aufs Haar glich. Er trug ein warmes Jägergewand, hielt einen
mächtigen Bergstock in der Hand und sah überaus traurig drein.
Da erschraken die beiden und sagten unter sich: "Gnade
Gott seiner armen Seel'! Unser Bruder hat sein Geld gewiß von der
Reichenspitze geholt und muß jetzt dahin gehen, Geld hüten.
Wir wollen ihn aber erlösen und seine arme Seele zur Ruhe bringen."
Gesagt, getan. Eilends machten sie sich auf den Weg und schritten durch
den ganzen Pinzgau aufwärts der Reichenspitze zu. Als sie ungefähr
die Mitte dieses Bergkogels erstiegen hatten, fielen plötzlich Nebel
ein, und so finster wurde es auf einmal um sie her, daß sie kaum
den Boden unter ihren Füßen ausnehmen konnten. Gleichzeitig
begann ein fürchterliches Donnern, das umso ärger wurde, je
höher sie stiegen. Allein fest auf Gott vertrauend und von dem Gedanken
beseelt, das Erlösungswerk um jeden Preis vollbringen zu wollen,
verließ sie ihr Mut nicht einen Augenblick, und glücklich erreichten
sie den Gipfel. Kaum waren sie auf dem Gipfel angekommen, so hatte das
Donnern ein Ende. Die dunklen Nebel zerrannen in Nichts, und der blaue
Himmel lachte wieder freundlich auf sie herab. Auf einmal stand ihr Bruder
vor ihnen, dankte ihnen innig und sagte: "Nun
bin ich erlöst. Wäret ihr nicht bis hierher gekommen, hätte
ich hier oben büßen müssen. Gott weiß es, wie lange.
Seid nochmals bedankt und lebt recht glücklich!" Und
damit war der Bruder verschwunden. Die beiden anderen Brüder kehrten
frohgesinnt nach Hause zurück und beschlossen in Glück und Zufriedenheit
ihre Tage.
Quelle: Heimatbuch Piesendorf, Hofrat Dr. Max
Effenberger, Piesendorf 1990, S. 561 -562