DIE DREI KÖNIGE VON PINZGAU UND DIE WILDE FRAU

Zur Rechten der Salzach mündet das bedeutende Stubachtal in das Haupttal aus, und im ersteren liegen drei umfangreiche Bauerngüter, deren Besitzern fast das ganze Tal gehört. Diese reichbegüterten Grundbesitzer nennt das Volk, auch wenn die wirklichen Namen im Laufe der Zeiten sich ändern, den Enzinger, den Widrechtshäuser und den Bollerer, alle drei zusammen aber die drei Könige von Pinzgau. Vormals war der Reichtum noch größer, davon zeugen noch immer die stattlichen Wohnungen mit altgetäfeltein schmuckreichen Prunkzimmern, wie man sie heutzutage nicht mehr bei Bauern findet. Auf dem Gutshofe Widrechtshausen wohnte ein stattlicher Mann, der die Gunst einer Wilden Frau genoß, welche ihren Wohnsitz unweit seines Gehöftes in einer unzugänglichen Höhle hoch oben an der Felswand hatte. Tief unten im Tale lag ein Stein, auf welchem bisweilen die Wildfrau sitzend und spinnend erblickt wurde, sonach gehörte sie jedenfalls nicht zu den ungetümen Fanggen, sondern zu den seligen Fräulein. Dort hatte sie auch der Widrechtshäuser erblickt und war schon selig durch ihren Anblick geworden. Noch seliger machte es ihn, als sich für ihn ein Zugang zu der Felsenhöhle zeigte, auf dem er jeden Samstag die Wilde Frau besuchte, die gegen ihn nichts weniger als wild war. Die Frau des Widrechtshäuser merkte Unrat, schlich dem Manne nach, fand ihn in den Armen der Wilden Frau schlafend, schnitt ihr rasch eine Haarlocke ab und enteilte. Von da an verstattete die Wilde Frau ihrem Liebling keine fernere Zusammenkunft, beschenkte ihn aber, indem sie auf jenen Felsen im Tale ein Garnknäuel und ein Hemd neben das Garnknäuel legte und mit dem Fuße gegen den Felsen trat. Von diesen drei Wahrzeichen blieben die Eindrücke zurück. Der Faden des Knäuels sollte nie abnehmen, ebensowenig das Glück des Hauses, solange die Besitzer ihre Wäsche auf dem Felsen trocknen würden, und wachsen sollte das Glück, je tiefer die Fußtrittspur werde. Leider verschwieg des Widrechtshäusers Frau das Geheimnis des Garnknäuels nicht, und er verschwand. Der Fußtritt nahm nicht zu an Tiefe, und die Wäsche, die man wie Wölkchen über dem Felsen bisweilen flattern sieht, scheint auch mehr den Feinen als der bäuerlichen heutigen Widrechtshäuserin anzugehören. Doch ist das Gut im besten Stande.

Diese Sage scheint einigermaßen ausgeschmückt überliefert worden zu sein; dieselbe hat nahe Verwandtschaft mit der von der Wilden Frau am Untersberg, die einen Bauer aus Amt liebte, dessen Frau dann auch kam und der Wilden Frau zurief: "Behüte Gott deine schönen Haare!"


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 21