DER SCHNEIDER VON UNKEN

Im Lofertale, unweit der bayrischen Grenze, liegt der weitschichtig gebaute Ort Unken, eingeschlossen von einer erhabenen Bergwelt. Dort lebte einst ein Schneider; der war ein gewaltiger Jäger, aber nur heimlich, denn offen durfte er seinem Gelüste nicht nachgehen, gleichwohl hielt er sich einen großen Fanghund, trotz eines Fürsten. Am Tage saß er fleißig bei der Arbeit und warf manchen guten Lappen in die Hölle, abends aber warf er sich in die Joppe, setzte den spitzen Hut mit dem Gamsbart auf, hing den Stutzen über die Schulter und ging pirschen. Eines Abends hatte selbiger Schneider ein absonderliches Abenteuer.

Er war schon auf dem Heimweg samt seinem Hunde, da geht plötzlich ein großer langer Mann schweigend neben ihm her, bietet keinen Abend *), und es weht von ihm aus den Schneider eiskalt an.

Leise, zitternd ruft dieser den Fanghund; der aber klemmt den Schwanz zwischen die Beine, graunzt und gibt Fersengeld, voraus nach Unken zu. Dem Schneider ward bang und bänger; ganz in der Stille langt er nach seinem Messer und Gabelbesteck in der Hosentasche, teilt's, nimmt in die eine Hand das Messer, in die andere die Gabel, um nötigenfalls eine Wehr zur Hand zu haben gegen den Schwarzen.

Dieser aber achtet gar nicht des Schneiders, er begleitet ihn nur bis unter den Wendberg und bis zur Säumerbrücke unterm Mitterberg, Dort stand der Schwarze still, bog sich über das Wasser, machte sich immer länger, und auf einmal schnappte er hinunter und war weg, Der Schneider kam mehr tot als lebendig nach Unken heim, prügelte den Fanghund fast tot vor Zorn, . . . zerschlug sein Gewehr, zerzauste den Gamsbart, und ist nachher mit keinem Tritt wieder pirschen gegangen.

*) Abend (Morgen) bieten - soviel als grüßen


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 5