Die übergossene Alm

Im Hintergrunde des lmlau- und Hölltales erblickt man eine mit ewigem Schnee bedeckte Hochfläche von ein und drei Viertelstunden Länge und drei Viertelstunden Breite; sie bildet die Scheidewand zwischen Werfen und der Pinzgauer Urslau und wird die "übergossene Alm" genannt. Vor Zeiten standen hier inmitten freundlichem Waldesgrün, umgeben von grasreichen Wiesen, freundliche Sennhütten, in welchen gar schöne und reiche "Dirndln" als Sennerinnen hausten. Wiewohl von ihren Eltern in Gottesfurcht erzogen, arteten sie hier oben, wo sie sich so ganz allein überlassen waren, aus und verfielen in Sünden aller Art. Sie verübten bald mancherlei Frevel und führten ein wahres Leben der Schande. Den Kühen hingen sie silberne Glocken um den Hals, den Stieren vergoldeten sie die Hörner, ließen den Wein fässerweise aus Salzburg bringen und bewirteten damit lustige Jägerburschen, mit welchen sie den ganzen Tag über tanzten und sangen. Das Beten hatten sie längst vergessen, dagegen taten sie alles, was sündhaft war: pflasterten den Weg zu ihren Hütten mit Käslaiben, füllten die Lücken mit Butter aus, damit der Teufel mit seinen Brüderln etwas zu fressen hätte, wenn sie des Nachts kämen; ein andermal badeten sie sich in Milch oder formten aus Butter Kugeln, mit welchen sie sich scherzend bewarfen, mit einem Worte, Sie würdigten die Gottesgaben auf jede mögliche Weise herab.

Da kam eines Tages ein Wanderer auf die Alpe, der vor Müdigkeit und Erschlaffung kaum noch soviel Kraft hatte, sich bis zur nächsten Alphütte zu schleppen und daselbst um Nachtherberge zu flehen. Statt nun des alten Mannes Bitte zu erfüllen, wiesen sie den Armen mit den Worten ab: "Der Teufel mag dir Herberge geben, wir bedürfen keines so ungebetenen Gastes!" Nochmals wiederholte jener sein Flehen, doch vergeblich.

Jetzt war das Maß der Sünde voll, und den Frevlerinnen hatte das letzte Stündlein geschlagen. Kaum hatte sich der Wanderer entfernt, da wälzte sich's von den Teufelshörnern her in dunklem, unheimlichem Gewoge, und ein furchtbarer Sturm erhob sich, daß den Sünderinnen angst und bange wurde. Ihre Lippen versuchten zu beten, aber umsonst. Gottes Strafgericht brach herein. Große Schneemassen stürzten vom Himmel und begruben die Frevlerinnen samt ihren Hütten für ewige Zeiten.

Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd.1, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 317f, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 146.