Der Dürnbach-Putz

Die Dürnbachau war früher eine wilde Gegend, und nicht jeder ging gern durch diesen Wald. Ein seltsames Männchen trieb dort sein Unwesen - der Putz!

Viele wussten von ihm zu erzählen, doch nur wenige hatten ihn gesehen. Einmal tauchte der Kobold als ein kleines, blaues Flämmchen auf und hüpfte vor dem Wanderer her, sodass sich der verirrte. Oder er legte sich als Holzknüppel oder Baumwurzel auf den Weg - und die Leute stolperten, wenn sie auf dem Weg zur Kirche waren. Ein andermal rannte er als großer, schwarzer Ziegenbock durch das Erlengebüsch und verfolgte die flüchtenden Wanderer.

Am öftesten aber ließ sich der Putz als kleines Männlein sehen. Er hatte einen grauen Wetterfleck an, auf dem Kopf einen feuerroten Spitzhut mit einer grünen Feder. Manchmal saß er neben einem kleinen Kreuz auf einer Fichte und weinte. Und die ganz alten Leute wussten, warum: Durch Geiz und Habgier hatte er im Leben große Schuld auf sich geladen. Als mächtiger Ritter war er einst in den Kampf gezogen, aber statt mit den erbeuteten Schätzen die Not der Armen zu lindern, hatte er seinen Reichtum in der Dürnbachau vergraben.
Nun muss er als Putz seine Schätze hüten und harrt noch immer der Stunde seiner Erlösung.

Besonders abgesehen hat es der bärtige Zwerg auf die Holzfäller. Das Gold ist nämlich in den Stämmen der hohen Bäume mitgewachsen. Und so versucht der Putz immer wieder, die Bauern und Holzknechte von den "Goldbäumen" abzulenken, damit seine Schätze nicht in fremde Hände fallen.

Als Holzknechte einmal in ihrer Hütte jausneten, schleppte der Putz die Äxte und Sägen, die Keile und Ketten weg und warf sie in den Dürnbach. Vergeblich suchten die Männer ihr Werkzeug bis spät in die Nacht. Erst am anderen Tag fanden sie es, verrostet und unbrauchbar, im Dürnbach.

Einmal ging ein Bauer in die Dürnbachau um Holz zu fällen. Mit der Axt auf der Schulter hielt er Ausschau nach einem geeigneten Baum. Da vernahm er eine Stimme: "Was stehst denn da? Geh weiter!" Der Mann erschrak, denn auch er hatte schon vom Putz gehört. Er wollte schnell umdrehen, doch mit unsichtbarer Gewalt zog es ihn vorwärts, immer tiefer in den dunklen Wald hinein. Nach einer Weile gelangte er auf eine Lichtung, die von mächtigen Bäumen umgeben war.

"Ich hab immer gemeint, ich kenn mich aus in der Au. Aber da bin ich noch gar nie gewesen", dachte sich der Bauer. Und schon ertönte wieder die krächzende Stimme: "Hier ist der rechte Ort!" Ängstlich schaute sich der Mann um. Und da! Hoch oben im Geäst einer Fichte saß der unheimliche Gnom und blickte mit funkelnden Augen auf ihn herab. Die kalte Angst packte ihn und er wollte fort - aber er konnte sich nicht von der Stelle bewegen!

"Du hast mich erkannt", sprach es von oben, "und du fürchtest mich. Weißt wohl nicht, dass ich dein Taufpate bin? Ich kann dir zu Reichtum und Glück verhelfen, wenn du klug und fleißig bist. Nun sieh zu und wähle dein Opfer unter den Bäumen!"

Diese sonderbaren Worte hatte der Bauer zwar nicht verstanden, aber er fürchtete sich nun nicht mehr. Mit frischem Mut machte er sich an die Arbeit . Mit Kennerblick musterte er die Bäume am Rand der Lichtung. "Dieser soll es sein und kein anderer!", sprach er und wies mit der Axt auf den Baum, den sich der Putz als Sitz auserkoren hatte. Der durchbohrte ihn mit einem furchtbaren Blick. Aber der Bauer ließ sich nicht mehr abbringen und mit kräftigen Hieben begann er, den Baum zu fällen.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sich der Baumriese endlich neigte. Ein Sturmwind fuhr durch seine Äste, dann stürzte er krachend zu Boden. Geblendet musste der Holzfäller seine Augen schließen. Was war denn das? Er traute seinen Augen nicht: Der Baumstamm war hohl und unzählige Goldstücke funkelten ihm entgegen! Und da war schon wieder diese Stimme: "Hihi! Nimm dir nur! Nimm, soviel du brauchst!"
Vorsichtig hob der Bauer ein Goldstück auf, dann zwei, dann drei. Dann griff er mit einer Hand hinein, dann mit der anderen. Und bald schaufelte er mit beiden Händen den Schatz in seine Taschen. Und sie wurden so schwer, dass er kaum noch stehen konnte.

Jetzt musste der Bauer endlich seine Arbeit fortsetzen und die Äste vom Stamm hacken. Den schweren Rock legte er beiseite, nur ungern trennte er sich von seinem Reichtum.

Aber das Arbeiten gefiel ihm nun überhaupt nicht mehr. Er redete mit sich selber: "Für was plag ich mich eigentlich noch? Bin ich jetzt nicht eh ein reicher Mann? Das ist ja ein schöner Stamm, aber so einen kann ich mir nun auch kaufen!" Er warf die Axt hin, packte seinen Rock und eilte heim in sein ärmliches Häuschen.
Er verriegelte die Tür, setzte sich an den Tisch und wollte anfangen, sein Geld zu zählen. Doch was fand er in den Rocktaschen? Haselnüsse, nichts als Haselnüsse! Er nahm den Rock und beutelte ihn aus. Doch es fielen nur noch ein paar Haselnüsse heraus. Aber auch ein Zettel flatterte auf den Boden. Mit bebenden Händen hob ihn der Bauer auf und las:

"Menschen und Erz kehren zur Erde zurück aus der sie gekommen. Aber sie werden einen Samen bilden, aus dem soll eine Fichte erstehen, die in ihren Ästen ein Kreuz tragen wird. Wenn sich der Stamm dieses Baumes so weit nach Osten gedreht hat, dass sich das Antlitz des Gekreuzigten zur Kirche hin wendet, dann erst bin ich erlöst."

Das Dürnbachputz-Kreuzl © Bernhard Dudek
Das Dürnbachputz-Kreuzl, Neukirchen (Salzburg)
Aufschrift: "Sobald das Kruzifix an
der Fichte gerade ostwärts
nach der Kirche hinsieht, ist die
Stunde seiner Erlösung da.
Jg. v. Kürsinger
Dürnbachputz-Kreuzl

© Bernhard Dudek, Winter 2005

Da ging dem habgierigen Mann ein Licht auf, aber jetzt war es zu spät...

Quelle: Helene Wallner, Sagensammlerin und -führerin, Emailzusendung vom 3. Mai 2005