Die Wiesbachhexe
Das Schloss Hohen- Neukirchen war viele Jahre lang Gemeindespital. Der
Wald oberhalb des Schlosses heißt deshalb "Spitalwald".
Im Norden grenzt er an die Wiesen des Schmalegger- Bauern.
Und in diesem Wald hauste vor langer, langer Zeit die Wiesbachhexe. Nur selten bekam sie jemand zu Gesicht. Manche Leute erzählten, sie sei ein kleines, buckliges Weibel mit einem mächtigen Kropf und einem gelben Strohhut auf dem Kopf. Es begleiteten sie stets vier "Häzn" (So sagen die Oberpinzgauer zu den Eichelhähern.).
Als die Schmalegger einmal beim Heuen waren, sahen sie im Spitalwald
eine alte Frau beim Moosbeerbrocken. Sie glaubten, es sei die Spitaldirn.
Es war sehr schwül und der Bauer schickte den jungen Fudertretter
zum Brünnl im Wald um Trinkwasser. Der übermütige Frechdachs
rief dem buckligen Weiblein zu:
"Hoho! Nit gar z fleißig! Dabrockst eh nix!"
Ohne aufzuschauen gab die Alte zur Antwort:
"Für enk is zan Fleißigsein oanawegst scho z'spat!"
Mit diesen Worten wusste der Bub nicht viel anzufangen und auch die anderen
nicht, denen er diesen seltsamen Ausspruch überbrachte. Sie wunderten
sich ein wenig und begannen aus vollem Hals zu lachen.
Doch das sollte ihnen gar bald vergehen! Die vermeintliche Spitaldirn
wuchs plötzlich zu riesiger Größe, und der Kopf mit dem
gelben Strohhut überragte schließlich die Wipfel der höchsten
Fichten. Mit heiserem Krächzen flogen vier Eichelhäher auf -
einer gegen Osten, einer gegen Westen, einer gegen Süden und einer
gegen Norden. Da wussten die Schmalegger, zu wem der Bub so frech gewesen
war!
Und es entlud sich ein grausiges Hochwetter. Aus den schwarzen Wolken
rieselte (hagelte) es, der Wiesbach brach aus und überschwemmte Häuser
und Felder.
Die Schmalegger flohen ins Haus.
"Helf ins Gott und insa liabe Frau!",
beteten sie bei jedem neuen Blitzstrahl. Durch das Fenster sahen sie
mitten im Unwetter noch lange den gelben Strohhut der Wiesbachhexe über
die Baumwipfel hinausragen.
Quelle: Helene Wallner, Sagensammlerin und -führerin, Emailzusendung vom 3. Mai 2005