Der Schatz des Erhängten

Ein Kaufmann in Salzburg trieb gute Zeit eine sehr vorteilhafte Nahrung, verheiratete auch drei Töchter; welchen er zwar nichts mitgab, sondern seine Schwiegersöhne des Kapitals wegen bis auf seinen Tod vertröstete, und ihnen also indessen ein Gewisses jährlich aus seiner Handlung zukommen ließ, mit welchem sie auch zufrieden waren. Wider alles Vermuten aber geriet seine Handlung nach und nach ins Stecken. Er pflegte sonst die Märkte zu Bautzen, Halle und Lütz zu besuchen. Nach einiger Zeit setzte er, unterm Vorwand einer Unpäßlichkeit, sonderlich den ersten Jahrmarkt zu Bautzen aus, weil er in voriger Messe einen Wechsel daselbst prolongiert hatte, und selbigen zu zahlen nicht imstande war, also notwendig bankrott werden mußte. Unterm Vorwand der Krankheit ging er nun eine Zeitlang ganz tiefsinnig in Gedanken herum, indem er sich vor seinen Schwiegersöhnen nicht gerne bloß geben wollte; geriet also je mehr und mehr in eine Melancholie und machte bei sich den endlichen Schluß, sich zu erhenken. Er nahm auch wirklich einen dicken Strick zu sich, ging in seinen vorm Tore liegenden Garten, besahe hin und wieder die Bäume, welcher ihm etwa zu seiner verdammten Ruhestelle dienen sollte. Er wählte endlich einen alten Birnbaum: und als er sich allenthalben wohl herum gesehen, ob jemand zugegen wäre, niemand aber gewahr wurde, legte er sich den Strick um den Hals, bestieg den Baum, machte den Strick an einem der stärksten Äste feste und stürzte sich also in Verzweiflung herunter. Aber was geschieht? Durch das Gewichte dieses schweren Körpers wird der alte Baum zerspalten, daß dieser, der der Luft nicht würdig war, zu samt dem Aste auf die Erde fallen mußte. Als der gute Mann (oder vielmehr Bösewicht) sich so erniedrigt sah, und über den unvermuteten Fall sich verwunderte, stand er endlich auf, um den Baum zu besehen, welcher seines gleichen Früchte nicht tragen wollte. Beim ersten Anblick des Risses fand er, daß der Baum inwendig ganz hohl war: In dieser
Höhlung sah er drei mit altem Pergament verbundene Töpfe, dieselben machte er auf, und fand darinnen lauter Dukaten nebst einer güldenen Kette und zwei Armbändern. In dem andern aber alte Taler und etwas Silbergeschmeide. Da hatte seine Melancholie auf einmal ein Ende. Er vergrub den Strick zum Andenken in die Erde, legte auch das übrige Geld, welches er nicht fortbringen konnte, zugleich mit bei, holte solches nach und nach in sein Haus, bezahlete seinen Wechsel und erhielt seinen alten Kredit: fing aber bald darauf ein liederliches Leben an, daß er zuletzt an den Bettelstab geriet, und also seine Schwiegersöhne leer ausgehen mußten.

Quelle: Will-Erich Peuckert, Die Sagen der monathlichen Unterredungen Otto von Grabens zum Stein, Berlin 1961, S. 262 f, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 215.