Die Wilde Jagd

Ein Junggeselle aus Liefering, bei dem durch jedes Äderchen im ganzen Leib nur Kraft und Leben sprudelte, so daß er nie ein Gatter aufmachte, sondern lieber frisch darüber wegsprang, mochte auch nicht gerne eine Tanzunterhaltung oder andere Lustbarkeit versäumen. Wie er einmal, nach Mitternacht von den Spielleuten aus Salzburg nach Hause kehrend, noch die Geigen und Klarinette hörte, daß er fast in Versuchung geriet auf der Straße zu walzen, wurde er plötzlich durch einen furchtbaren Lärm, welcher schnell wie der Wind näher und näher heranrückte, aus seinen lustigen Träumereien aufgeschreckt. "Holla, Bua!" sprach der Lieferinger zu sich selber, "das geht nicht natürlich her, es ist das Wilde Gjaid im Anzug!" Damit streckte er sich flugs zu Boden und legte sowohl Hände als Füße kreuzweise übereinander. Im Augenblick fuhr das Wilde Gjaid ganz knapp über ihn mit unsinnigem verworrenem Geheul vorüber. Hundegebell, Katzengeschrei, Rossegewieher, Raubvogelgekrächze, Natterngezisch mischten sich aufs grausigste durcheinander. Allein, es war im Nu in der Weite. Als der Junggeselle wieder rüstig auf den Füßen stand, drangen nur noch die letzten matten Töne aus weiter Ferne an sein Ohr.

Quelle: Nikolaus Huber, Sagen vom Untersberg, Salzburg 1901, Nr. 45, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 197.

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Ein anderer, aber sehr roher, ungeschlachter Bauer hörte einst auf dem Heimwege die Wilde Jagd daherbrausen. Aus Vorwitz wollte auch er mit jagen helfen und begann zu schreien und zu schnalzen, wie es die Treiber auf der Klopfjagd zu tun pflegen. Da rief ihm der wilde Jäger zu: "Brav, Kamerad! Sollst deinen Teil haben." Am andern Morgen, als er in den Pferdestall gehen wollte, hing ein Vierteil eines Moosweibchens an der Türe des Stalles. Erschrocken hierüber ging der Bauer unverweilt zum Pfarrer und beichtete ihm reumütig seinen Mutwillen. Der Seelsorger verwies ihm denselben ernstlich, ermahnte ihn dringend zur Besserung seines Lebenswandels und riet dem Bauern, zu seiner geistigen und leiblichen Wohlfahrt, das Fleisch unberührt hängen zu lassen, auf daß ihn der Wilde Jäger hernach nicht darum anfechte. Der Bauer gehorchte dem Rate, und das unheimliche Wildbret kam ebenso unvermerkt wieder fort, als es hingekommen war. Dessenungeachtet konnte der Bauer seines Lebens nicht mehr recht froh werden, und er starb auch nach wenigen Jahren.

Quelle: Nikolaus Huber, Sagen vom Untersberg, Salzburg 1901, Nr. 39, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 198.

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Eine alte Bäuerin aus Moos erzählte, daß sie als junges Mädchen, da sie in Glanegg diente, eines Nachts noch spät am Fenster stand und zu ihrer Verwunderung in der Ferne eine gar liebliche Musik vernahm, die immer näher zu kommen schien. In der Meinung, daß vielleicht eine vornehme Gesellschaft aus Salzburg nahe, habe sie das Fenster aufgemacht und sich hinausgeneigt. Im selben Momente aber schwieg die Musik plötzlich; dagegen habe ein gar furchtbares Rasseln begonnen und sei immer näher gekommen, so daß sie entsetzt das Fenster zuwarf und in ihr Bett flüchtete, wo sie in ihrer Herzensangst schnell ein "Vaterunser" und ein "Ave" betete. "Das war bestimmt das Wilde Gjaid!" meinte die Moosbäuerin, sooft sie es erzählte.

Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd. 1, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 155, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 199.