10.3 Die Irrwurzel

Die Irrwurzeln sind geheimnisvolle Wurzeln, die in der Erde stecken und die man nicht sieht. Wer auf eine solche tritt, der kennt sich nicht mehr aus, egal, wie weit er wandert. Erst wenn er geschlafen hat, oder wenn er auf eine zweite Irrwurzel tritt, findet er sich wieder zurecht. Der Maurer Hiasl ist einmal Erdbeeren sammeln gegangen. Als er seine Schüssel vollgebrockt hat, will er wieder heimgehen, aber er hat sich nicht mehr ausgekannt. Den ganzen Nachmittag ist er herumgewandert und die ganze Nacht dazu. Am nächsten Tag in der Früh hat er sich unter einen Baum gelegt und ein paar Stunden geschlafen. Als er aufgewacht ist, ist er wieder weiter gegangen, aber die Gegend ist ihm noch unbekannt vorgekommen. Erst als er die Leonhard-Kirche in Strassen gesehen hat (Anm.: Strassen ist ein Ortsteil von Bad Aussee, aus Richtung Hinterberg nach dem Radlingpass), hat er sich wieder ausgekannt. Der Maurer Hiasl ist halt auf eine Irrwurzel gestiegen, die hat ihm den Sinn verwirrt. Freilich war der Hiasl auch ein wenig dumm im Kopf, aber dass er vom Singer-Schlag aus, wo er die Erdbeeren gesucht hat, bis nach Aussee hinein gekommen ist, das hätte er trotz seiner Dummheit nicht geschafft, wenn ihn nicht eine Wurzel so herumgeführt hätte!

Quelle: Sagenhaftes Hinterbergertal, Sagen und Legenden aus Bad Mitterndorf, Pichl-Kainisch und Tauplitz vom Ende der Eiszeit bis zum Eisenbahnbau, Matthias Neitsch. Erarbeitet im Rahmen des Leader+ Projektes „KultiNat“ 2005 – 2007.
© Matthias Neitsch