6.5 Die Schweine des Teufels in der Ödern

Der Reithartl Hans wurde ständig von Soldaten verfolgt, weil er sich standhaft weigerte, zum Militär einzurücken. Er aber ließ sich nicht erwischen und floh hinaus in die Wälder und ins Gebirge. Lange Zeit hielt er sich auch im Öderntal auf. Einmal, es war schon finstere Nacht, legte er sich unter eine große Fichte. Es war eine von jenen riesigen Almfichten, die ihre Zweige bis auf den Boden hängen haben, wodurch eine Art geschützte Höhle rund um den Stamm herum entsteht. Das war der ideale Schlafplatz für den Reithartl Hans. Als er so unter dem Baum lag und gerade einschlafen will, fiel ihm ein, dass er sein Abendgebet nicht verrichtet hatte. Er stand nochmals auf und betete wie gewöhnlich. Danach legte er sich wieder hin und schlief auch bald ein. Mitten in der Nacht hörte er plötzlich ein Rufen und Schreien, ganz als ob zwei Leute eine Viehherde vorbeitreiben würden. Das Rufen kam immer näher und näher und jetzt hörte er auch viele Schweine schreien. Als die Herde schon ganz nahe war, hob jemand einen Ast von dem Baum auf, unter dem der Hans lag und ein Mann rief herein: „Wenn du gestern nicht so schön gebetet hättest, müsstest du mit uns gehen und uns Ferkel treiben helfen.“ Darauf ließ der Mann den Ast wieder aus und zog mit seinen Schweinen weiter. Der Hans aber schaute aus seinem Versteck heraus und bemerkte, dass die Schweineherde ungeheuer groß war, und alle wurden von einem Mann und einer Frau getrieben. Die zwei waren aber keine Menschen, sondern der Teufel selber und seine Frau und die Schweine waren Leute, über die der Teufel Macht hatte und die er unterwegs eingefangen hatte.

Die endlosen Wälder und einsamen Almen des Öderntales dürften seit vielen Generationen ein ideales Rückzugsgebiet für Wehrdienstverweigerer, Schmuggler, Wilderer und Kriegsflüchtlinge gewesen sein. Ein in Mitterndorf früher bekanntes Volkslied war die Ballade vom „Fluchtfischer“, einem Mitterndorfer namens Franz Seebacher vlg. Fischer, der um ca. 1800 (Zeit der Franzosenkriege) ebenfalls vor dem Militär ins Öderntal flüchtete. (Das Fluchtfischerlied mit Text und Hintergrundinformationen ist veröffentlicht in: „Da schau her. Beiträge aus dem Kulturleben des Bezirkes Liezen 3/1988, S. 19). Während des 2. Weltkrieges hielten sich dort zunächst Widerstandskämpfer und Regimegegner auf, zum Kriegsende flüchteten NS-Leute vor den Alliierten Truppen ins Öderntal, heute steht nahe der Albrechtshütte ein Mahnmal gegen den Krieg.

Quelle: Sagenhaftes Hinterbergertal, Sagen und Legenden aus Bad Mitterndorf, Pichl-Kainisch und Tauplitz vom Ende der Eiszeit bis zum Eisenbahnbau, Matthias Neitsch. Erarbeitet im Rahmen des Leader+ Projektes „KultiNat“ 2005 – 2007.
© Matthias Neitsch