5.2 Das steinerne Tor und die Zwerge

Bei Trautenfels an der Enns steigt unmittelbar aus dem Tal der wuchtige Grimming empor, den in früheren Jahrhunderten manche für den höchsten Berg der Steiermark gehalten haben. Dort, wo über den bewachsenen Halden der nackte Fels beginnt, kann man das „Steintor“ oder „steinerne Tor“ erkennen, eine merkwürdige Felswand, die von Ferne wirklich einem Tor gleicht. Von diesem steinernen Eingang wird erzählt, daß er sich alljährlich einmal am „Peter-und Pauls-Tag“ öffne.

Vor langen Zeiten weidete einmal an diesem Tag ein Hirtenknabe in der Nähe seine Schafe, fand das Tor offen und trat neugierig ein. Im Bergesinnern sah er Zwerge. Eines der Männchen winkte ihm und führte ihn herum; es zeigte ihm die Schätze, die überall angehäuft lagen, sprach aber kein Wort. Von dem vielen Schauen wurde der Knabe so müde, daß er einschlief, ehe er alles angesehen hatte. Als er erwachte, ging er zurück ins Freie, traf aber zu seinem Erstaunen einen anderen Hirten bei seinen Schafen. Im Dorf wunderten sich alle, ihn wiederzusehen, und jetzt erst erkannte er, daß er ein ganzes Jahr im Berg geschlafen hatte. Als die Tiere damals ohne ihn heimgekommen waren, hatten die Leute sogleich vermutet, daß er in den Berg eingegangen sei. Er aber schwieg beharrlich und erzählte nie etwas darüber, was er im Innern des Grimmings gesehen hatte.

Quelle: Sagenhaftes Hinterbergertal, Sagen und Legenden aus Bad Mitterndorf, Pichl-Kainisch und Tauplitz vom Ende der Eiszeit bis zum Eisenbahnbau, Matthias Neitsch. Erarbeitet im Rahmen des Leader+ Projektes „KultiNat“ 2005 – 2007.
© Matthias Neitsch