6.6 Die Wilde Jagd am Radlberg

In der Nacht vom 5. Auf den 6. Dezember beginnt die Zeit der Rauhnächte, die mit der letzten Rauhnacht vom 5. auf den 6. Jänner endet. In dieser Zeit braust das wilde Gjoad (die wilde Jagd) durch die Lüfte.

So unterschiedlich das Aussehen des wilden Gjoads auch in den zahlreichen Sagen beschrieben wird, so ist doch eines sicher: Wenn es so daherkommt mit Lärmen und Schreien und in unglaublicher Geschwindigkeit, dann muss man sich schnell auf den Boden legen, besser aber noch in eine Grube. Es fährt etwa kniehoch dahin und schneidet jeden Menschen durch, der sich nicht zu helfen weiß. Es springt gewöhnlich nicht auf dem Boden dahin, nur auf gewisse Steine tritt es auf. Ein solcher Stein liegt in der Nähe von Bad Mitterndorf. Wer über den Radlberg nach Rödschitz gehen will, der muss einen Weg kreuzen und über zwei Stiegl steigen (Überstiegshilfe zum Überqueren von Zäunen). Genau vor dem zweiten Stiegl liegt ein Stein, der an seiner oberen Hälfte, genau dort wo man hintreten muss, allerhand Rinnen und Zeichen hat. Die Rinnen laufen nicht gerade und sind ungefähr so tief, wie ein Finger dick ist. Dabei sind sie glatt und fein. Alle Jahre verschwinden einige solche Rinnen, andere aber erscheinen dafür. Das geht jedoch nicht langsam, sondern schnell und über Nacht. Das ist ein solcher Stein, auf den das wilde Gjoad aufspringt. Und jedesmal, so bald es darauftritt, wetzt es mit den Hufen alte Rinnen aus und neue dafür ein.

Am Abend des 5. Dezember wird das wilde Gjoad beim großen Nikolo-Umzug in den Pfarren Tauplitz, Mitterndorf und Kumitz in jeweils etwas unterschiedlicher Version dargestellt, und zwar als Bartl (die Percht) mit dem Zug der Krampusse in seinem (eigentlich ihrem) Gefolge. Auch Schmied, Jäger, Habergeiß und die Schab dürften sehr alte mystische Gestalten sein. Die Vorstellung über das wilde Gjaid wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte, und so wurde dieser Brauch immer wieder verändert und den neuen Zeiten angepasst. So kamen nach und nach weitere Gestalten dazu, wie Luzifer und Eheteufel, schließlich Nikolaus, Messner, Pfarrer, Engel, Nachtwächter, Tod, Bettelmann und andere, und vermutlich erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts der Schimmelreiter (eine rauhnächtliche Sagengestalt aus den weiten Moorlandschaften Norddeutschlands).

Quelle: Sagenhaftes Hinterbergertal, Sagen und Legenden aus Bad Mitterndorf, Pichl-Kainisch und Tauplitz vom Ende der Eiszeit bis zum Eisenbahnbau, Matthias Neitsch. Erarbeitet im Rahmen des Leader+ Projektes „KultiNat“ 2005 – 2007.
© Matthias Neitsch