Sage vom Klinzerlgraben

Über dem Klinzerlgraben (ist ein tiefer Graben, zu dem man nach beiläufig 20 Minuten Weges durch den Buchwald gelangt) im Buchwald erhob sich einmal ein schönes Schloss. Es gehörte einem reichen Ritter, der alles tat, was Gott verboten hatte, und bei all seiner Verschwendung seine Dienerschaft darben ließ, seine Untertanen bedrückte und Gott lästerte. In einer Nacht, da es in diesem Schloss besonders arg zuging, versank es spurlos in der Erde.

Es ging nun die Sage, ein Neusonntagskind - das ist ein Mensch, der an einem Sonntag genau zu der Stunde, als gerade der Mond neu wurde, geboren ist - könne am Palmsonntag, während der Priester in der Kirche die Passion liest, in das versunkene Schloss gelangen und sich daraus Schätze holen, nur müsse er vor Ende der Passion wieder herauskommen.

Nun befand sich an einem Palmsonntag während des Hochamtes eine arme Frau mit ihrem Kinde gerade im Klinzerlgraben, und weil sie ein Neusonntagskind war, so sah sie auch den Eingang in das versunkene Schloss und trat mit ihrem kleinen Mädchen neugierig in die herrlichen Räume. Beide konnten des Staunens und Bewunderns kein Ende finden. Die Mutter steckte endlich einige Kostbarkeiten zu sich und eilte mit dem Kinde wieder zum Ausgang, aber das Mädchen konnte sich von den Herrlichkeiten schwer trennen, riss sich los und lief zurück. Da schloss sich plötzlich die Pforte und die jammernde Mutter stand allein unter den Waldbäumen im Klinzerlgraben; weder von einem Eingang zum Schloss noch von ihrem Kind war etwas zu sehen. Die arme Mutter trauerte lange. Endlich tröstete sie sich mit dem Gedanken, dass sie vielleicht im nächsten Jahre am Palmsonntag wieder in das versunkene Schloss und zu ihrem Kinde kommen könne.

Und das war wirklich der Fall; sie traf ihr Kind vergnügt spielend im Schloss. Nun beeilten sich beide und gelangten glücklich wieder ins Freie.

Seither aber hat sich die Pforte zum versunkenen Schloss nicht mehr aufgetan.

Nach einer anderen Sage soll die Schatzhebung nur in der Zeit zum Ostersonntag möglich sein und darf nur bis zum mitternächtlichen Läuten eines Glöckleins (im Volksmund auch „Klinzerl“ genannt, daher wohl auch der Name) dauern.

Quelle: Hausmann, Franz (Hrsg.): Oststeirische Sagen und Schwänke, Verlag Julius Schönwetter, o.J.
Email-Zusendung Franz A. Rabl, Fürstenfeld, November 2008