Die wandernde Quelle

In der Nähe von Maria Trost ist ein alter Steinbruch. Man erzählt sich in der Gegend, daß dort in früheren Zeiten ein fruchtbarer Weinberg gewesen sei. Der Besitzer war habgierig und böse, und je mehr Ertrag der Weingarten brachte, desto mehr Arbeit forderte er von seinen Leuten, bis er bald einer der reichsten Männer in der Umgebung war.

Es geschah in einem heißen Sommer, als überall im Lande Dürre herrschte und die Weintrauben an den Stöcken des geizigen Mannes vertrockneten, daß die Quelle am Fuße seines Weinberges plötzlich kein Wasser mehr gab. Aber während reichlicher Herbstregen das Land wiederum zum Grünen brachte, war seine Quelle versiegt, und der Boden ringsum blieb trocken und wurde hart wie Stein.

Da beschloß der Sohn des reichen Bauern, der ebenso hartherzig war wie sein Vater, den wertlos gewordenen Hügel als einen Steinbruch zu nutzen,- aber schon nach den ersten Sprengversuchen begann von Tag zu Tag mehr Wasser aus Löchern und Spalten des Bodens zu sickern, und man mußte die Arbeiten einstellen. Hierauf verschwand auch das Wasser wieder.

Der Sohn verkaufte den Steinbruch und beschloß, sich am Fuße des Hügels ein Haus zu bauen.

Lange suchte man vergeblich nach Wasser für den Hausbrunnen. Eines Nachts kam ein heftiges Ungewitter vom Schöckl her, und als ein Platzregen herniederrauschte, sammelte sich das Wasser in den Kellerräumen des halbfertigen Hauses und stieg so lange, bis es den ganzen Bau überschwemmte und ihn unter Donnergetöse in einer Sturzflut durch den Graben hinab bis ins Tal schwemmte, wo man am nächsten Morgen die Mauerteile auf der Wiese verstreut liegen fand. Daraufhin zog die ganze Familie aus der Gegend fort.

Quelle: Volksmund 1905.
In: Annemarie Reiter (HG.), Grazer Sagen und Geschichten, Graz 1996, S. 169.