Ein Knappe tötet beim Roten Kreuz irrtümlich sein Mädchen

Auf dem Wege von Wildalpen nach Eisenerz, auf der sogenannten Eisenerzerhöh, steht ein Marienkreuz mit einem sinnigen Vers, daran sich folgende Sage knüpft:

Auf einer der umliegenden Almen wohnte eine junge schöne Schwaigerin mit ihrer alten Mutter. Sie hatte einen frischen Knappen, der am Erzberg arbeitete zum Geliebten und allwöchentlich kam dieser von Eisenerz über das Gebirge auf die Alpe, um sein Mädchen zu besuchen. Als einst das Mädchen den Knappen fragte, ob er sich nicht fürchte, des Nachts so allein stundenlang durch die schauerlichen Klüfte der Gebirge zu gehen, lächelte der mutige Bursche und zeigte auf sein großes Messer, das im Gürtel stak.

In der nächsten Woche kam der Knappe wieder des Weges zur Almhütte. Als er zum Marienkreuze kam, trat ihm eine weiße Schreckgestalt entgegen. Anfangs sträubte sich sein Haar vor Schrecken, dann aber zog er sein Messer und stieß es der Gestalt in den Leib. Diese fiel mit lauten Aufschrei zu Boden. Der Knappe aber eilte, so schnell als er nur konnte, auf das Häuschen seiner Geliebten zu. Da vermißte er sein Mädchen und eine Ahnung sagte ihm, daß das weiße Gespenst niemand anderer als seine Geliebte gewesen war. Sie selbst verwünschend eilte der Bursche zurück zum Kreuze und fand hier sein Liebchen im Blute liegen. Nur wenige Minuten lebte das Mädchen noch und dann verschied es.

Des anderen Tages überlieferte sich der Knappe freiwillig dem Gerichte und klagte sich des Mordes an seinem Mädchen an. Aber das Gericht sprach ihn frei von aller Schuld. Bald darauf folgte er aus Gram und Schmerz seiner Geliebten, deren Leichtsinn ihr den Tod gebracht hatte, ins Grab.

Das Marienbild, insgemein auch das "rote Kreuz" genannt, steht noch und die Führer erzählen den Fremden gerne die schauerliche Begebenheit, die sich daselbst zugetragen hat.

Quelle: Johann Krainz, Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande, Bruck a. d. Mur 1880, S. 107, Nr. 67.
In: Günther Jontes. In: Bergknapp, Teufel, Wassermann, Das Sagenbuch der Steirischen Eisenstraße, Leoben 2001, S. 90.