DAS NACHTAHNL

In den sagenreichen Gegenden des Leibnitzer Feldes, in den Tälern der Sulm, Laßnitz und Kainach spukt ein Nachtgeist, das Nachtahnl, auch Waschfrau oder Nachtfrau genannt. Liebenswürdig von Gestalt, hat das Nachtahnl eine glatte, glänzende Hautfarbe und ein sehr schönes Haar, das fast bis zu den Knien hinabreicht. Aber nicht jedem erscheint es in seiner schönen Gestalt; im Gegenteile, es soll für den Spötter, je mehr es sich ihm nähert, immer größer werden und als wahre Schreckensgestalt Furcht einflößen.

Das Nachtahnl hält sich gerne an Quellen, Teichen, insbesondere in sumpfigen Gründen und Lahnen auf. Hier, wie auch bei Tränken und Waschstellen, erscheint diese Gestalt häufig zur Nachtzeit, reinigt die Wäsche der schmutzig Begrabenen und trocknet selbe im falben Mondlichte. Schon viele Leute wollen sie gesehen haben, wie sie, angetan mit einem weißen Kleide, die Dienste einer Wäscherin verrichtete. Wer sie stört, oder dem sie auf der Wanderung begegnet, den verscheucht sie, oder aber läßt ihn nicht mehr von der Stelle und nötigt ihn zu ihrem Dienste. Wo das Nachtahnl an einer Waschstelle etwas findet, das leichtsinnige Wäscherinnen vergessen haben, dort nimmt es dasselbe mit und wehe der Vergeßlichen, wenn diese ihm unterkommt; das Nachtahnl läßt es sie entgelten und schlägt sie arg mit dem gefundenen Gegenstande. Auch soll man es sich nie einfallen lassen, das Nachtahnl zu spotten oder zu äffen, ja nicht einmal ansprechen darf man dasselbe, da es solche Verwegenheit stets strenge ahndet. Schon mancher, der solches zu tun gewagt, erhielt vom Nachtahnl eine derbe Ohrfeige, daß die Funken vom Gesichte flogen und alle, welche die Wucht seiner Hand gefühlt hatten, behaupten, das Nachtahnl habe eine eiserne Hand.

Zuweilen wird das Nachtahnl mit einem Kinde gesehen. Einmal traf ein Knecht die Spukgestalt an einem Zaune sitzend; sie hatte ein Kind auf dem Schoße und speiste dieses aus einer Schale. Als das Nachtahnl des Knechtes ansichtig wurde, stellte es sich ihm in den Weg und verjagte ihn.

Einst weideten zwei Knaben mehrere Stücke Vieh auf einer Wiese. Es war schon ganz dunkel, als sie die Tiere heimwärts trieben. Da erblickten sie bei einem Wiesenraine abseits von der Straße eine seltsame Frauengestalt in lichtem Gewande. Die Knaben glaubten, dieselbe wolle sie beide schrecken, und beschlossen, sie dafür zu prügeln. Aber, als sie auf die Gestalt zugingen, wurde diese immer größer und nun erkannten die beiden Knaben, daß es das Nachtahnl sei. Dieses hatte ein schneeweißes Kleid an und seine Hände waren ebenfalls blendend weiß. "Es ist das Nachtahnl, hat aber keinen Waschbläuer," rief einer der beiden Knaben und da ihnen all die Lust vergangen war, auf die Gestalt weiter einzudringen, so nahmen sie reißaus. Als sie dann endlich einmal zurückschauten, bemerkten sie, wie die Gestalt immer kleiner wurde und zuletzt ganz verschwand.

Ein andermal erschien das Nachtahnl einigen jungen Nachtschwärmern. Gesicht und Hände waren ganz weiß, auch hatte es ein weißes Kleid an und auf dem Kopfe eine große Flughaube, wie solche vor Zeiten die Frauen getragen haben. Als die Burschen der Gestalt, welche auf sie zuschritt und immer größer wurde, ansichtig wurden, gaben sie eilig Fersengeld und flüchteten sich in eine nahehegende Keusche, rissen rasch die Tür auf und schlugen sie dann hinter sich zu. Und das war ihr Glück, denn das Nachtahnl war den Burschen schon ganz nahe gewesen und hätte sie gewiß mit seiner eisernen Hand recht tüchtig durchgebleut, wenn sie nicht rechtzeitig noch im Hause Schutz gefunden hätten.

- In Gabersdorf wurde das Nachtahnl sehr häufig gesehen. Einmal befand sich der Besitzer einer Wirtschaft in dieser Gemeinde allein zu Hause. Frau, Kinder und Gesinde hatten sich gegen Abend zur Mühle begeben, um behufs Ölgewinnung Kürbiskerne auszuschlagen. Dem Hausvater wurde es langweilig und da es ohnedies schon spät war, so legte er sich zu Bette und schlief ein. Gegen Mitternacht wurde er durch ein seltsames Knistern und Krachen, welches aus der Küche zu kommen schien, geweckt. Da er das Haustor von innen verriegelt hatte, so schien es ihm ganz und gar unmöglich, daß es jemandem gelungen sein könnte, ins Haus hineinzukommen. Er stand deshalb auf, kleidete sich an und begab sich in die Küche, um nach dem nächtlichen Ruhestörer zu sehen. Aber wie erschrak der gute Mann, als er beim Herde ein Nachtahnl sitzen sah, das eben sein schönes, blondes, fast bis an die Knie reichendes Haar kämmte, während auf dem Herde über dem Feuer ein gefüllter Kessel stand. Kaum hatte der Hausvater die gespenstige Gestalt erblickt, als er sich schnell ins Zimmer zurückbegab und vor Schrecken sich nicht mehr zu schlafen getraute. Als dann endlich der Tag anbrach, ging er wieder in die Küche, um nachzusehen, welche Unordnung das Nachtahnl angestellt hatte. Aber seltsamerweise war alles in bester Ordnung; der Herd war ganz kalt, der Kessel blank und auch die Holzscheiter lagen regelrecht aufgeschichtet, wie dies abends zuvor geschehen. Kurz und gut, nichts deutete darauf hin, daß das Nachtahnl hier gewesen sei und gewirtschaftet habe.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911