DER GEHEIMNISVOLLE SAAL

Im Schlosse Sauerbrunn bei Pöls, das ein sehr tapferer und wohltätiger steirischer Ritter, Franz Freiherr von Teuffenbach, der leidenden Menschheit vermacht hatte, sollen Schätze verborgen sein. Dies wußte auch ein armes Weib, die Mutter eines kleinen, herzigen Kindes, und wollte diesen Schatz heben. Die Frau ging mit ihrem Kinde zur Mittagszeit in das Schloß, durchschritt mehrere große Zimmer und kam in den Gang, von dem man in einen großen Saal sehen konnte. In diesem standen mehrere Fässer, vor der Tür aber lagen glänzende Steine, Gold und Silbererz.

Die Mutter setzte ihr Kind auf eines der Fässer und ging dann wieder zur Tür, um die schönen Steine, das Gold und Silber aufzulesen. Als sie die schönsten Stücke ausgesucht und sich damit die Schürze gefüllt hatte, wollte sie ihr Kind wieder nehmen. Aber wie erschrak sie, als keine Tür mehr zu sehen war. Die Arme rannte verzweifelt umher und suchte und suchte, doch vergebens; endlich mußte sie ohne das Kind das Schloß verlassen.

Im darauffolgenden Jahre, am selbigen Tage und zur selbigen Stunde, ging die Frau wieder in das Schloß. Und siehe da! Sie fand den Saal, dessen Tür offen stand, und auf dem Fasse ihr Kind, das ganz munter war und spielte. Die Mutter nahm ihren Liebling auf den Arm, herzte und küßte ihn unzählige Male ab und verließ das Schloß, ohne von den daliegenden zahlreichen Schätzen etwas anzurühren. Das Kind war ihr lieber als aller Reichtum.

Vor dem Schlosse trat der Frau plötzlich eine hohe Gestalt in blendend weißem Kleide entgegen, sah Mutter und Kind wehmütig an und verschwand dann ebenso schnell, als sie erschienen.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911