DER SCHNITTER UND DIE ZWERGE

Frühmorgens, bevor noch die Sonne aufgegangen war, verließ ein Schnitter sein am Ende des Dorfes Krieglach gelegenes Häuschen und ging durch das Tal der Mürz entlang nach seiner Wiese, welche er zu mähen beabsichtigte. Kaum aber hatte er einige Male mit seiner Sense weit ausgeholt, als er plötzlich fühlte, wie dieselbe schwer wurde, so daß er fast gar nicht mehr damit auszufahren vermochte. Der Schnitter sah nach, was es damit für eine Bewandtnis habe, und erblickte zu seiner Überraschung an der Klinge ein grünes Netz und darin eine Schar kleiner, niedlicher Zwerglein.

Diese baten ganz kläglich: "Ach, tu' uns nichts zuleide und laß uns wieder los; wir wollen dir dafür viel Gold schenken!"

Der Schnitter war ein guter Mann und sagte lachend: "Nun meinetwegen, aber gebt mir etwas!" Daraufhin riefen die Zwerglein: "Morgen! Komm morgen wieder!" Und sodann verschwanden sie samt ihrem Netze.

Der Schnitter arbeitete nun emsig weiter, und nachdem er sein Tagewerk vollbracht hatte, kehrte er fröhlich heim. Des anderen Tages begab er sich wieder auf seine Wiese und sah hier zu seinem Ärger eine Menge häßlicher Torfknollen umhergestreut liegen. Mißmutig darüber, daß ihm jemand solchen Schabernack angetan, stieß er einen der Knollen mit dem Fuße zusammen. Da schien es ihm, als höre er ein helles Klingen. Der Mann dachte sich: "Das ist gewiß Gold", und bückte sich hocherfreut zur Erde nieder, um die dicken Klumpen in seinen Korb zu klauben. In diesem Augenblicke sah er neben sich das grüne Netz der Zwerge wieder und diese darunter sitzend. Die kleinen Männlein lachten den guten Mann freundlich an, dann aber sagten sie ihm, er möge mit ihnen gehen, sie wüßten noch viel schönere Sachen, als er da auf der Wiese gefunden.

Der Schnitter folgte bereitwillig den lieben Zwergen, und diese führten ihn in eine hell erleuchtete Höhle, in welcher blinkendes Gold in großen Haufen aufgeschichtet lag. Davon füllten sie seinen Korb an und führten dann den Mann wieder zur Höhle hinaus.

So hatten denn die gutmütigen Zwerge den armen Schnitter reich gemacht. Auch andere, weniger gutgesinnte Menschen, die davon hörten, wollten auf dieselbe Weise wohlhabend werden. Aber sie blieben in dem Netze, das die Zwerge des Nachts am Berge ausspannten, hängen und wurden dann von ihnen gefangen genommen.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911