DER SCHWARZE SEE AM BACHERN

Auf dem Bachergebirge liegt ein See, welcher "der schwarze See" genannt wird. Kein Fisch kann in demselben leben, nur Unken hausen darin; diese tauchen, wenn man Steine in das Wasser wirft, empor und lassen ihr schauriges Geschrei ertönen.

An der Stelle, wo sich nun der schwarze See ausbreitet, stand einst ein stattliches Gehöfte, welches einer stolzen, herzlosen Frau gehörte; diese gebot über das ganze Gebirge, und ihr gehörten auch die Glashütten und die Bergwerke daselbst. Frau Agnes, so hieß sie, hatte ein halb erwachsenes Söhnchen, das seine Mutter nur noch an Hartherzigkeit und Hochmut übertraf.

Einst bestieg ein alter Mann das Bachergebirge und kam in die Nähe des stattlichen Hofes. Der Schweiß tropfte von seinem kahlen Scheitel, der Durst plagte ihn sehr, und da er einige Kirschbäume erblickte, deren Früchte schon reif waren, so pflückte er einige der letzteren. Hiebei wurde er von dem Söhnchen der Frau Agnes überrascht, welches ihn mit einer Flut von Schimpfworten überhäufte, ja sogar seinen zitternden Händen den Wanderstab entriß und ihn entzwei brach. Dabei fiel aber das böswillige Herrchen in eine Pfütze, und als es sich wieder aufgerafft hatte, eilte es in seinem beschmutzten Samtgewande zur Mutter. Diese belog nun der Knabe, daß der alte Bettler ihn in den Kot geworfen hätte. Frau Agnes saß eben an einem Marmortischchen, auf dem silberne Tassen und mit edlen Weinen gefüllte Kristallpokale nebst verschiedenem feinen Backwerk standen. Sie langte nun nach einigen Weizenbrötchen und reinigte damit das Kleid ihres ungezogenen Söhnchens. Da flehte der arme, alte Mann, den der Hunger plagte, durch das Fenster herein um einige Speiseüberreste; aber Frau Agnes warf ihm nur die schmutzigen Brotkeimen, an denen der Kot von ihres Knaben Kleide haftete, zu und jagte dann den Flehenden davon.

Dieser schlich sich betrübt zu einer nahen Quelle hin, um wenigstens seinen Durst zu stillen. Aber auch dies wurde ihm verwehrt. Der rachsüchtige Knabe war dem Greise nachgeeilt und warf Steine ins Wasser, so daß der Alte unmöglich daraus trinken konnte. Da übermannte gerechte Entrüstung den armen, geplagten Mann und er verwünschte die Hartherzigkeit der Bewohner dieses Gehöftes. Darauf verschwand er im Dunkel des Urwaldes.

Bald darauf zogen von der Velka Kappa schwere Wolken daher und entluden sich gerade über dem Gehöfte der Frau Agnes. Ein ungeheuerer, alles zerstörender Wolkenbruch ging nieder, und immer höher stiegen die Fluten, bis sie Haus und Hof, Gärten und Felder verschlungen hatten.

So entstand der "schwarze See" auf dem Bachergebirge.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911