DIE EINGEBRANNTE HAND

Im Norden von Fürstenfeld, an der Straße nach Hartberg, nahe der ungarischen Grenze, liegt in der Talniederung das große Pfarrdorf Neudau mit dem gleichnamigen Schlosse. In letzterem war einmal ein Mädchen bedienstet, das sehr unredlich war, trotzdem aber sich eines unbescholtenen Rufes erfreute, so daß man, als im Schlosse mehrere bedeutende Diebstähle vorkamen, auf dasselbe nicht den leisesten Verdacht warf.

In einer heiligen Christnacht, als die Familie des Schloßherrn und die gesamte Dienerschaft mit Ausnahme des Mädchens in die Kirche gegangen waren, um der Christmette andächtig beizuwohnen, versuchte die diebische Dirne, aus einem der gräflichen Schränke einige besondere Wertgegenstände zu entfernen. Sie wußte ja, daß man auf sie nicht den geringsten Verdacht habe, daß sie die Diebin im Schlosse sei; zudem war der Zeitpunkt sehr günstig und schien ihr bei der Abwesenheit aller übrigen Hausleute zu ihrem verbrecherischen Vorhaben wie geschaffen. Schon öffnete das Mädchen den Schrank und streckte die Finger nach dem fremden Gute aus, als die alte Zimmeruhr die Mitternachtsstunde verkündete. In diesem Momente erfaßte eine brennend heiße Hand sie am Arme und hielt diesen fest, so daß die Magd den Diebstahl nicht ausführen konnte.

Als dann nach der heiligen Christmette die Schloßbewohner wieder zurückkehrten, fanden sie das Mädchen neben dem offenen Schranke wie leblos auf dem Boden liegen; an ihrem Hemdärmel sah man deutlich die fünf Finger einer Hand eingebrannt, und niemand konnte sich diese Erscheinung enträtseln. Das Mädchen kam zwar wieder zum Bewußtsein, aber fiel infolge der ausgestandenen Angst in eine schwere Krankheit und starb. Kurz vor seinem Tode jedoch erzählte es noch den ganzen Sachverhalt.

Man erkannte darin das Strafgericht Gottes, und zum Andenken an diese Begebenheit wurde der Hemdärmel mit den eingebrannten Fingern in der Schloßkapelle zu Neudau aufbewahrt.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911