DIE SILBERNEN BUBEN

Südlich von Passail, am Eingange der sogenannten Raabklamm, liegt das Dorf Arzberg, dessen Name von dem einst daselbst betriebenen Silberbergbaue abgeleitet wird. Hier in der Nähe befinden sich die imposanten, rötlichen Gösser Wände, von denen die Sage erzählt, daß sie im Innern zerklüftet und voll der reichsten Silbererze seien, welche von eigenartigen Berggeistern, den silbernen Buben, behütet werden. Diese Kobolde zeigten sich früher in gewissen mondhellen Nächten auf einer neben der Raab, zu Füßen der Gösser Wände gelegenen Wiese und trieben mit den Hirten und anderen Leuten, welche sich zu später Nachtzeit hieher verirrten, ihr neckisches Spiel; oft wurden sie auch gesehen, wie sie nach Art der Bergleute an den Felsen hämmerten, klopften und pochten. Die silbernen Buben glichen in der Größe ungefähr zehnjährigen Knaben, doch waren sie ziemlich stark gebaut und gekleidet wie die Bergleute, nur daß sie nicht dunkel, sondern weiß und glänzend aussahen, als wären sie aus reinstem Silber; deshalb hießen sie auch die silbernen Buben. Wer sich in ihre Nähe wagte, den bewarfen sie mit seltenen, glänzenden Steinen; auch sollen sie den Bewohnern der dortigen Gegend und insbesondere braven Bergleuten sehr gewogen gewesen sein, und schon mancher Arme hatte von diesen neckischen Berggeistern einen Silberklumpen zum Geschenke erhalten.

Vor vielen Jahrhunderten kam ein armer, aber rechtschaffener Bergmann, namens Jakob, in die Gegend, um hier sein Glück zu versuchen. Tagsüber stieg er auf den umliegenden Gebirgen herum und untersuchte die Gesteinsarten, ob sie nicht erzhältig seien. So kam er auch auf die Gösser Wände und klopfte und hämmerte frisch darauf los, aber nirgends zeigte sich ihm eine der Erzadern. Von den Mühen seiner Arbeit überwältigt, legte sich Jakob auf eine kleine Rasenfläche und schlief ein. Als er wieder erwachte, war es gegen Mitternacht, und der Vollmond beleuchtete mit seinem magischen Lichte die ganze Gegend. Nun machte sich der Bergmann auf den Heimweg, um die friedliche Hütte eines Landmannes, der ihm eine Lagerstätte eingeräumt hatte, aufzusuchen; da fiel sein Blick von dem schmalen, steil abfallenden Felsvorsprunge, auf dem er stand, hinab in die Tiefe der Schlucht, durch welche die muntere Raab sich ihren Lauf gebahnt hatte. Voll Verwunderung blieben seine Augen auf einem kleinen Wiesenflecke jenseits des Flüßchens haften. Hier tummelte sich lustig eine Schar von Knaben umher, deren bergmännische Kleidung wie silbern im Zwielichte des Mondes schimmerte. Jakob stieg behutsam vom Felsen herab und schlich sich näher, um das Tun und Treiben derselben genauer beobachten zu können, und da sah er, wie einige dieser neckischen Gestalten fröhlich umherhüpften und sprangen und sich mit glänzenden Steinchen bewarfen, während andere wieder mit kleinen Hämmern auf die Felsenwände losschlugen, daß die Funken davonflogen, und sodann die losgebrochenen Steine auflasen und fortschafften. Und dies alles geschah so ruhig und geräuschlos, daß es Jakob ganz unheimlich wurde; er bekreuzte sich und schlich sich dann fort. Aber kaum war er einige Schritte entfernt, als die silbernen Buben nach ihm mit Steinen zu werfen begannen. Doch jener machte sich nichts daraus und eilte rüstig weiter zu der Hütte des gastfreundlichen Landmannes. Die neckischen Kobolde verfolgten ihn auch bis hieher und verschwanden erst, als Jakob einen der nach ihm geworfenen Steine vom Boden aufgehoben und in die Tasche gesteckt hatte, dann aber durch die Tür ins Innere des Bauernhauses getreten war.

Am nächsten Morgen erzählte der Bergmann dem Bauern sein nächtliches Abenteuer, und dieser wieder teilte ihm mit, was er von den silbernen Buben wußte. Auf den Rat des Landmannes begann nun Jakob in der Felsenwand, an welcher in der vergangenen Nacht die neckischen Berggeister gehämmert und gepocht hatten, nach edlem Erze zu schürfen und war auch bald so glücklich, auf eine reiche Silberader zu stoßen. Nun war er ein gemachter Mann. Mit Hilfe anderer Bergknappen, welche er in seinen Dienst genommen, begann Jakob daselbst in bergmännischer Weise das edle Erz abzubauen und gewann eine reiche Ausbeute. Aber dieses Glück brachte ihm anfänglich auch großes Leid. Jakob mußte nämlich einen Teil seines Gewinnes dem Gutsherrn der nahen Burg Stubegg abliefern. Da der Burgherr, ein Graf von Stubenberg, sich im Kriege befand, so war Jakob an dessen Pfleger, einen hartherzigen und geizigen Mann, gewiesen. Dieser suchte Jakob an seinem Gewinne zu benachteiligen und warf ihn schließlich, da jener sich solches nicht gefallen ließ, in den Kerker. Der Pfleger wollte nun selbst Eigentümer des reichen Silberbergwerkes werden, aber er mußte seine böse Tat mit dem Leben büßen. Als er nämlich in die Tiefe des Berges stieg, um die unterirdischen Schätze des Bergwerkes zu besichtigen, lockten ihn die silbernen Buben derart, daß er sich in den dunklen Gruben verirrte und das Tageslicht nicht wiedersah.

Jakob aber wurde aus seiner Gefangenschaft befreit und baute zum Danke dafür, wie auch für den reichlichen Bergsegen das Kirchlein St. Jakob in Arzberg.

Bis ins vorige Jahrhundert wurde das Silberbergwerk daselbst. betrieben, dann aber verschwand nach und nach der Bergsegen, und auch die silbernen Buben zeigten sich seitdem niemals wieder.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911