SAGE VON EHRENFELS

Im freundlichen Liesingtale, in der Umgebung von Mautern, steht auf den schroffen Zacken eines felsigen Gebirgsvorsprunges am Fuße des Reitings die Ruine der einst mächtigen Burg Ehrenfels. Wie des Adlers Horst auf steiler Felsenhöhe, blicken die vom Zahne der Zeit zerbröckelten und geschwärzten Mauern ernst in das Tal hinab. Die frommen Bewohner der Gegend, welche zur Abend- oder Nachtzeit an dieser Trümmerburg vorübergehen, bekreuzen sich und verdoppeln ängstlich ihre Schritte, um jene bald aus dem Gesichte zu verlieren. Denn gar schauerliche Sagen erzählt man sich von ihr im Volke, welche vollkommen geeignet sind, Scheu vor diesen Ruinen einzuflößen.

Auf Ehrenfels hauste ein Rittergeschlecht, welches zur Zeit des Faustrechtes sich eine traurige Berühmtheit erworben hatte. Die Besitzer der Burg waren gleich ihren benachbarten Rittern Wegelagerer, welche es diesen nicht nur gleichzutun, sondern sogar sie in Raub und Mord zu übertreffen suchten. Die durch das Liesingtal führende Salzstraße und die nahe bei St. Michael durch das Murtal sich ziehende Heerstraße boten den adeligen Schnapphähnen zahlreiche Gelegenheit zur Ausübung gräßlicher Schandtaten. Kaufleute, welche mit kostbaren Waren von Österreich nach Italien zogen, wurden geplündert, gefangen genommen und in die unterirdischen Verließe geworfen, wehe ihnen, wenn sie sich nicht mit schwerem Lösegelde loskaufen, sie wurden dann ohne Erbarmen getötet. Der Wanderer, der Landmann, der Salzführer, sie wurden ausgeraubt. Kirchen und Klöster wurden überfallen, die Priester und Mönche ermordet, die Wertgegenstände geraubt und schließlich die Gebäude in Brand gesteckt. Wohl bemühte man sich, diesen furchtbaren Unmenschen das Handwerk zu legen, sie zu fangen und unschädlich zu machen. So manches Kriegsheer lagerte sich vor der Feste und versuchte, diese zu erstürmen. Aber die Ritter waren auf der Hut; sie hatten stets in großer Zahl verwegene Raubgesellen um sich und trotzten auf ihrem uneinnehmbaren Felsenneste allen Stürmen. So erlitten denn die Belagerer selbst zumeist durch nächtliche Ausfälle empfindliche Verluste und zogen daher, das Nutzlose ihrer Anstrengungen einsehend, wieder unverrichteter Dinge ab.

Auf diese Weise wurden die Raubritter immer kühner; sie verübten nun noch größere Schandtaten und wurden schließlich sogar eine Plage des ganzen Oberlandes, da sie ihre Streifzüge bis ins Enns-, Mur- und Mürztal ausdehnten. Selbst der das Feld bestellende Bauer war nie sicher vor den Raubgrafen.

Am tollsten trieb es insbesondere der letzte Sprößling dieses ritterlichen Räubergeschlechtes. In den Häusern, wie im Freien, auf den Feldern und Wiesen, in den Wäldern und auf den Almen lagen zahlreiche, gräßlich verstümmelte Leichen. Im Burgverliese wimmelte es von Unglücklichen, und in den Kellern waren in reichlicher Zahl ungeheuere Kostbarkeiten, welche vom Raube herrührten, aufgespeichert.

Einst saß der wilde Raubgraf mit seinen Söhnen und Gesellen bei Tische. Gefangene Nonnen, Rittersfrauen und Fräulein, welche man gewaltsam entführt hatte, mußten die Speisen auftragen und den Wein kredenzen; wehe derjenigen, welche es wagte, auch nur den geringsten der Raubgesellen zurückzuweisen, alsogleich stak der Dolch in ihrer Brust. Der Wein hatte die Gemüter erregt und die Ausgelassenheit war bereits auf das höchste gestiegen. Da öffnete sich die Tür des Saales und auf der Schwelle erschien die ehrwürdige Gestalt eines Eremiten. Hohngelächter und gotteslästerliche Reden empfingen den Greis, dessen langer, auf die Brust herabwallender Silberbart ein hohes Alter verkündete. Aber er achtete nicht des Spottes, sondern trat unerschrocken vor und, die Hand warnend erhoben, mahnte er die wilden Gesellen, in ihren furchtbaren Freveln einzuhalten und Buße zu tun. "Buße tun, ja Buße tun!" schrie der aufgeregte Raubgraf; "büßen mußt auch du für dein keckes Eindringen!" Und hohnlachend befahl er seinen Spießgesellen, dem Eremiten lebend die Haut abzuziehen und ihn auf einen Pfahl zu spießen. Die Knechte wollten ihres Herrn Befehl ausführen und stürzten sich auf den Greis. Aber ein eigentümliches Gefühl, eine Scheu hielt sie davon ab, sich an ihm zu vergreifen. "Ihr werdet mir kein Haar krümmen!" sprach der Eremit, winkte den unglücklichen Weibern, ihm zu folgen, und verließ mit ihnen den Saal, ohne daß die Räuber dies verhinderten. Starr vor Staunen und wie durch eine geheime Kraft festgebannt auf die Stelle, wo sie standen und saßen, vermochten diese nicht, den Fliehenden nachzueilen. Der Raubritter schäumte vor Wut. Da erbebte der Fels, auf dem die Burg stand, und diese zerfiel plötzlich, in ihren Trümmern den bösen Raubgrafen und seine Gesellen begrabend.

In stürmischen Nächten, wenn schwarze Wolken am Himmel dahinjagen, wandeln dunkle, gespenstische Gestalten zur mitternächtigen Stunde zwischen den zerklüfteten Mauern umher. Es sind dies die bösen Edelherren mit ihren Mordgesellen, die im Grabe keine Ruhe finden können; weithin hört man ihr lautes Geheul. Zeitweilig erblickt der Wanderer, welcher nächtlicherweile durch das Tal schreitet, blaue Flämmchen aus den Überresten der Schloßmauern glühen; sie deuten an, daß hier Schätze verborgen liegen. Schon mancher Schatzgräber hat sich fluchtlose Mühe gegeben, das alte Gestein zu durchwühlen, aber nur einer war bisher glücklich. Es war dies ein alter Verwalter des ehemaligen Hammergewerkes im Hagenbachgraben, der ein kleines Auskommen und eine große Familie hatte. Ihm gelang es, in der Ruine einen Schatz zu finden; er konnte nun seine Schulden zahlen und obendrein noch von dem Überreste gemächlich leben.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911