SAGE VON FREIENSTEIN

Wohl jedem, der schon auf der Straße zwischen Leoben und Trofaiach lustgewandelt, ist das malerisch auf einem ungefähr 100 Meter hohen, steilen Felsen gelegene Wallfahrtskirchlein Maria Freienstein bei St. Peter aufgefallen. Gar manchen hat es gelüstet, da hinaufzuklimmen zu dem kleinen Gotteshause, und wenn er dann oben angelangt war, wird ihn sicher die schöne Aussicht von hier die übrigens nicht so großen Mühen des Hinanstieges vergessen haben lassen.

Dieses Kirchlein ist erbaut auf den Ruinen eines gleichnamigen Schlosses, welches in früherer Zeit insgemein die Burg bei St. Peter genannt wurde.

Von den letzten Besitzern dieser Burg erzählt man sich, daß sie nicht so gewesen, nicht so gelebt hatten, wie es hätte sein sollen. Sie bedrückten die Untertanen, begingen viel Unrecht und häuften Reichtümer auf Reichtümer. Als nun der letzte Besitzer, welcher es am stärksten getrieben haben soll, starb, zerfiel auch die Burg, und es begann zwischen dem Gemäuer zu spuken. In der Nacht zwischen elf und ein Uhr zeigte sich stets in der Nähe der Ruine vom Felsen weg eine gespenstische Mauer, welche den Fuhrleuten den Weg versperrte. Zugleich hörten die Leute, welche um diese Zeit auf der Straße gingen, schon von weitem den kläglichen Ruf. "Hans, wo bist Du?"

Dieser Ruf klang so schaurig durch die stille Nacht, daß es jedem, der ihn hörte, angst und bang wurde. Wenn jemand gezwungen war, hier um die Geisterstunde zu gehen, so trachtete er, nur bald ein schützendes Haus zu erreichen, um den bösen Geistern auszuweichen.

Nun hatte eine Herrschaft, welche in der Nähe der Burgruine Freienstein ein Schloß besaß, einen Hofnarren, welcher Hans hieß. Als dieser einst um die Mitternachtsstunde mit seinem Gebieter an dem Felsen vorüberfuhr, konnten die Pferde plötzlich nicht mehr weiter; die gespenstische Mauer sperrte die Straße ab. Auf einmal ertönte der Ruf: "Hans, wo bist Du?" "Hier!" antwortete der Hofnarr, stieg aus dem Wagen und schritt den steilen Pfad zur Burgruine hinan. Als er beim zerfallenen Schloßtor anlangte, sah er ein kleines, schwarzes Männlein auf einer überaus großen, eisernen Kiste sitzen, das Gesicht in den vorgehaltenen Händen verbergend. Der Hofnarr sagte zu dem Männchen: "Hast Du mich gerufen? Sag' nun, was Du willst!" Der kleine Schwarze sprang behende von seiner Sitzstatt auf und versuchte, die schwere Kiste zu ziehen und zu heben, was er aber nicht imstande war. Endlich sagte er zum Narren: "Geh', hilf mit die Kiste heben, siehst ja, daß ich es allein nicht zuwegebringe; bin schon ganz müd' und matt!" Hans aber rührte sich nicht vorn der Stelle. "Könnt' mir nicht einfallen", sagte er, "versuch's nur, es wird schon geh'n!" Nun verlegte sich das Männchen aufs Bitten, aber der Hofnarr blieb unerbittlich und sprach: Hilf Dir selbst." Nach diesen Worten machte das Männlein einen Satz und jubelte: "Nun bin ich erlöst von meiner Pein! Das Geld, welches da drinnen in der Kiste ist, gehört jetzt Dir." Darauf verschwand es, und seitdem hörte jeder Spuk daselbst auf. Der Hofnarr gab das Geld der Herrschaft, diese aber mochte es auch nicht gerne behalten und schenkte es den Jesuiten, welche der Kaiser damals in das Land gerufen hatte. Diese erbauten dann auf den Ruinen der alten Burg das Kirchlein zu Ehren der heiligen Mutter Gottes.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911