SAGEN VON WILDFRÄULEIN UND WALDFRAUEN

In tiefen Waldschluchten am Fuße des Felsgebirges, über welche die klaren Quellen herabstürzen und wo der Wasserstaub in den hellen Sonnenstrahlen glitzert, wohnen die Wild- oder Bergfräulein und die Wild- und Waldfrauen, reizende Wesen, die sich gegenseitig das goldige, über den ganzen Leib niederwallende Haar mit einem Kamme aus Regenbogen strählen und dabei gar wunderschön singen. Sie sind äußerst scheu, und darum kann sie selten ein Mensch zu Gesichte bekommen; aber trotz ihrer Scheu meinen sie es den Menschen, besonders den Armen und Bedrängten, recht gut.

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Wenn im Frühjahre der Schnee schmilzt, zeigen sich auf den grünenden Höhen der Ausseer Gebirge die Bergfräul'n. Ihre im Winter erstarrten, weitfaltigen Gewänder tauen in der milden Frühlingssonne auf, und in das Donnergetöse der Lawinen mischt sich freudig bewegt der liebliche Gesang dieser holden Frauen, der dann in sanftem Säuseln ganz deutlich an das Ohr der Bewohner der Berghütten klingt. Schneeweiß blinken die Kleider der lieben Bergfräul'n von der "Madlwand", und da die Kinder wissen, daß, wenn sie schmutzig sind, sie diesen holden Geschöpfen mißfallen, so beeilen sie sich stets, recht fein säuberlich sich zu waschen und zu kämmen.

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In einer steilen Felswand des Poßrucks befindet sich eine Höhle, genannt das "Waldfrauenloch", welche vor längstvergangener Zeit von drei Waldfrauen bewohnt worden war. Es waren dies Frauen, wunderbar schön anzuschauen, und ihr Gesang bezauberte jeden, der ihn vernahm. Dabei waren sie gütige, freundliche Wesen, die das Vieh vor dem Absturze bewahrten und verirrte Jäger und Wanderer auf den rechten Weg führten. Einst hatte sich eine Wurzelgräberin beim Kräutersuchen auf der Felswand in der Höhle verstiegen; die Arme konnte weder vor- noch rückwärts und hatte so einen sicheren, schrecklichen Tod vor ihren Augen. Wie sie nun jammernd und klagend nach Hilfe spähte, hörte sie aus der Höhle einen wunderbaren Gesang ertönen. Plötzlich standen vor ihr drei weibliche Gestalten, herrlich anzuschauen, eine schöner als die andere. Diese faßten die arme verirrte Alte an der Hand und führten sie auf einem früher nicht gesehenen Steige auf einen Platz, von dem aus sie bequem nach ihrem Dorfe gehen konnte. Auch schenkten ihr die Waldfrauen einen Laib ausgezeichnet schmeckenden Brotes, das nie abnahm, sie mochte davon abschneiden, so viel sie nur wollte. Nun brauchte sie nicht mehr Kräuter zu suchen und Wurzeln zu graben, um ihr Leben zu fristen; sie hatte ja, dank der Güte der drei Waldfrauen, genug zu essen, solange sie lebte.
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Auf der Plesch befindet sich eine Stelle, die, wenn aller Schnee ringsum schon weg ist, noch lange die weiße Decke zeigt. Das Volk nennt sie die "Leinwandbleiche". An dieser Stelle sollen sich vor Zeiten die Wildfräulein aufgehalten und daselbst auch Brot gebacken haben. Kamen gute und freundliche Menschen hinauf, so gaben die Wildfräulein ihnen etwas von ihrem Gebäck und erwiesen ihnen auch sonstige Wohltaten. Wehe aber denen, die ihnen etwas zuleide taten; solche Leute waren vor ihrer Rache nirgends sicher.

Eben auf diesem Gebirge war einst eine der herrlichsten und blühendsten Alpentriften. Aber das Hirtenvolk daselbst wurde bei dem reichen Segen der Alpe übermütig und trieb mit Milch, Butter und Käse tollen Mutwillen. Wohl warnten die schönen, freundlichen Wildfrauen, die sich oft mit Blumen bekränzt auf der Alpe und bei den Schwaighütten sehen ließen, die Hirten und Halter liebreich vor solch frevelhaftem Beginnen; doch diese kehrten sich nicht daran, ja einer der Frevler warf sogar einer Waldfrau seinen Ringstock an den Kopf und verwundete sie schwer. Da hörte man klägliches Ächzen in den Lüften und Jammern im Walde; Gewitterwolken umzogen den Himmel, furchtbarer Donner rollte, daß der Berg erbebte, und die verwundete Waldfrau erschien auf einem Felsvorsprunge in einem Kreise von Feuer und sprach die Verwünschung aus über den Berg und seine Alpentrift. Seitdem wächst fast kein Gras mehr auf der Alpe, kein Wässerchen ist mehr vorhanden, daraus die Rinder ihren Durst löschen könnten, kurz, aus der einst so blühenden Alpe ist eine traurige Bergöde geworden.

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In der Gegend von Pusterwald lebte ein Knecht, der war so arm, daß er nur ein einziges Hemd hatte, und das er, um nicht hemdlos herumzugehen, niemals waschen lassen wollte; deshalb war es auch mit der Zeit vor Schmutz ganz steif wie Blech geworden. Einst mußte er am Waldsaume ackern, die Sonne schien sehr heiß, so daß er reichlichen Schweiß vergoß. Als er zum Essen ging, zog er das nasse Hemd aus, hing es zum Trocknen an den Zaun und bekleidete seinen Oberleib nur mit der Jacke. Als die Hausleute in der Stube bei Tische saßen, hörten sie von einer Waldschlucht herab ein helles Patschen von Waschbläuern; und als nach beendigter Mahlzeit der Knecht wieder an seine Arbeit ging, fand er sein Hemd schneeweiß gewaschen auf dem Pfluge und danebenliegend ein blütenweißes Brot. Die gütigen Wildfräulein hatten dem armen Knechte das Hemd gewaschen und ihm noch dazu eine schmackhafte Jause gegeben.

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In Johnsbach beim "Wolfsbauer-Wasserfall" hausen schöne, gütige Waldfrauen und spenden den Alpen Segen, solange die Schwaigerinnen nicht übermütig werden. Man hört sie im Rauschen des Wasserfalles, aber zu Gesichte haben sie nur wenige Begnadete bekommen. Eine solche Waldfrau betrat einst das Haus des Bauerngutsbesitzers Paul Wolf und machte sich's hier bequem. Die Hausleute taten ihr alles nach Wunsch, und wenn sie sich zu Bette legte und dabei das schöne goldglänzende Haar in langen Strähnen auf den Boden fiel, da richtete die Bäuerin der Schlafenden gar sorgsam das Kissen zurecht, hob die Haare empor und tat sie schön fein und sorgsam unter die Bettdecke. Dafür war aber auch die Waldfrau überaus dankbar und sagte beim Abschied: "Solange auf diesem Bauerngute ein Paul Wolf hausen wird, soll stets Glück und Segen darauf sein." Und so war es auch.

Einst fuhr ein Kohlenführer aus Johnsbach beim WolfsbauerWasserfall" vorbei. Da hörte er über sich eine silberhelle Frauenstimme, welche rief. "Gib außi d' Ofenschüssl!" Darauf sagte der Kohlenführer: "Mir auch an Ofenstritzl!" und als er dann einige Schritte weiterfuhr, lag im Grase hart neben der Straße ein schöner Brotwecken, das von den gütigen Waldfrauen erbetene Geschenk.

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In der Gegend Arzbach bei Neuberg wohnten vor langer Zeit in einer Felsenwand, welche der vielen Höhlen wegen, die sie enthielt, die "Hohlwand" hieß, wilde Frauen. Ihre Erscheinung war stattlich, ihre Statur schlank; sie hatten ein jugendliches Aussehen, trugen ihr langes dichtes Haar offen und hüllten ihren Körper in weiße Linnenmäntel. An schönen Abenden, zur Zeit der Dämmerung, saßen sie auf den Felsentrümmern und ließen von da aus ihren lieblichen Gesang weithin durch das Tal ertönen. Diese wilden Frauen waren äußerst scheu und flohen bei jeder Annäherung; nach einer Verfolgung verschwanden sie auf längere Zeit und so glückte es höchst selten einem Erdenkinde, diese überirdischen Geschöpfe zu Gesichte zu bekommen. Solches gelang nur einigen friedfertigen Menschen und meist nur dann, wenn die wilden Frauen die Kühe der Bauern molken. Die Eigentümer der Rinder ließen sich dies gerne gefallen, weil den betreffenden Tieren ferner nichts Böses zustoßen konnte; auch gaben diese Kühe dann immer viel und ausgezeichnete Milch. Ein einziges Scheltwort hingegen genügte, diese seltsamen Wesen zu verscheuchen. Lange Zeit nun hausten hier die wilden Frauen; als man aber begann, von der Hohlwand Steine zum Baue einer Kirche zu brechen, verschwanden sie für immer aus der Gegend und mit ihnen auch ihr entzückender Gesang.

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In der "Wildfrauen-Lucken" im Freßnitzgraben, Bezirk Kindberg, hausten einst sieben Wildfrauen, lauter wunderschöne Weiber mit langen Haaren, die wie Goldgeflechte herabhingen. Sie taten den Armen viel Gutes, nur mußte man sie in der Höhle selbst aufsuchen und ihnen sein Anliegen vorbringen; dann wußten sie immer Rat und Hilfe zu schaffen. Einmal wagte sich eine dieser Wildfrauen ganz ins Tal hinab. Plötzlich rannte ein' schwarzer Bock gegen sie an, um sie mit seinen langen spitzen Hörnern zu durchbohren. Ein Holzhauer, der in der Nähe war und dies sah, hieb mit seiner Axt drei Kreuze in einen am Boden liegenden, gefällten Holzstamm. Die Wildfrau eilte hin und setzte sich darauf. Da rannte der Bock in wilden, zornigen Sprüngen davon. Die Gerettete dankte nun dem Holzfäller freundlich, hieß ihn, sie in ihrer Höhle zu besuchen, und verschwand dann. Als später der Holzhauer in große Not kam, erinnerte er sich der Einladung der Waldfrau und er schickte sich an, sie zu besuchen. Als er in die geräumige Höhle kam, begegneten ihm die schönen Frauen sehr liebreich und beschenkten ihn mit einer goldenen Axt; wohin er damit aufschlüge, würde er einen Schatz finden. Und so war es auch; aus dem armen Holzfäller wurde ein steinreicher Mann.

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Im Zeiritzkampel befinden sich mehrere Höhlen, genannt die "Frauenhöhlen", weil in diesen die wilden Frauen wohnten. Solange die Halterbuben und Brendlerinnen sich der Ringstöcke, das sind Stäbe mit mehreren großen Ringen, bedienten und damit Lärm machten, um das Vieh von den Abstürzen wegzuscheuchen, hörte man die Wildfrauen oft wunderschön singen. Als aber dann die Geißeln oder Peitschen aufkamen, wurde den wilden Frauen das Schnalzwerk zuwider und sie verschwanden aus der Gegend.

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Auch in den Höhlen des Dürrenberges bei Oberwölz wohnten einst weiße Frauen, von den Leuten Wild- oder Waldfräul'n genannt, welche entzückend schön singen konnten, sehr kräuterkundig waren, den Menschen viel Gutes taten und insbesondere das Vieh auf den Bergen vor dem Absturze bewahrten. Sie verließen aber die Gegend, als die sogenannten Flatschen, lange Blasinstrumente aus Fichtenholz, aufkamen. Zwar bliesen die Leute auf denselben sehr schöne Alpenweisen, aber die weißen Frauen fanden daran keinen Gefallen und zogen deshalb aus der Gegend fort.

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Auf dem "Jungfernsitz", einem Felsenkegel oberhalb des Schloss ses Friedstein im Ennstale, ruhten ehemals die Waldjungfrauen gerne aus, wenn sie in hellen Mondnächten durch die dunklen Forste schwärmten, und ließen von hier aus oft ihren wunderbaren Gesang ins Tal hinab erklingen. In den Trümmern der alten Feste Gleichenberg, welche in der sogenannten "Weizenstube" gestanden sein soll, wohnen noch heutzutage Waldfrauen, und wenn der Wind nächtlicherweise durch das Gemäuer streicht, sagen die Leute, daß dieselben ihre Klagelieder anstimmen. Bei Herbersdorf befindet sich eine "Wildfrauenhöhle" und bei Stubenberg sind "Frauenlöcher". Bei Afram und Kirchbach bewohnten diese holden Wesen die sogenannten "Wildfrauengruben" ; sie schnitten des Nachts den Leuten das Getreide auf den Feldern, ließen sich aber bei Tage niemals blicken, da sie keine Kleider trugen. In einer Höhle am Frauenkogel bei Auersbach hausten zwei wilde Frauen, und im Fritzenkogel unter Heiligenkreuz am Waasen buken unterirdische Weibsbilder" Brot und ließen den Leuten auf ihren Ruf. "Mir auch einen Herwisch!" solche ausgebackene Flecken zukommen. Auf dem Lebernfelde endlich kennt man die Muerfrauen, schöne Jungfrauen mit mißgestalteten Füßen, welche im Innern der Kogeln in prächtigen Palästen wohnen.

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Beim Liebhartslehen auf dem Hochofen bei Gröbming fühlten sich die Wild- oder Bergfrauen förmlich einheimisch. Sie waren ganz grau und hatten unter dem Arme eine kleine Pfanne. Man ließ für sie auf dem Acker Ähren zurück, die sie dann einsammelten. Eines Tages hetzte ein böser Mann die Hunde auf diese freundlichen Wesen, und seitdem sind sie für immer verschwunden. Auf dem Wege zur Neuberger Alpe im Kammergebirge sieht man noch auf einer Felswand ihre Fußspuren in Form kleiner Hufeisen eingedrückt.
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Auf dem durch eine reichliche Flora ausgezeichneten Mehlstübel, einem Plätzchen oberhalb der Ruine Lichtenegg im Mürztale, wohnten einst die Mehljungfrauen. Sie brachten den müden Holzarbeitern Speise und Trank, soviel sie verzehren mochten, nur durfte davon nichts nach Hause mitgenommen werden. Lange Zeit übten diese Jungfrauen ihre Gastfreundschaft, bis einmal ein Unberufener diese Freigebigkeit mißbrauchte und Speise und Trank heimschleppte. Des andern Morgens fand man den Fremdling tot auf dem Platze liegen, die müden Arbeiter aber harrten vergeblich auf ihre Wohltäterinnen und deren Gaben. Seit dieser Zeit erblickte man die Mehljungfrauen niemals wieder; dafür aber erscheinen nun hier alljährlich jene lieblichen Kinder der Alpenflora, die zwar nicht irdisch speisen, wohl aber Herz und Sinn mit hoher Freude erfüllen.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911