Der Antichrist

Wenn einmal die Menschheit ganz im argen versunken ist und die Religion so geschwunden, daß aus der Pfarrkirche zu Meran ein Roßstall gemacht wird, alsdann kommt der Antichrist. Wer wird er sein und was wird er tun? - "Der wird von einer Hexe geboren, lebt drei Jahre im Verborgenen und drei Jarle öffentlich. Er steht an einem großen Wasser und hat einen Esel mit langem Schweife bei sich. Kommen Leute des Weges, so heißt er sie auf den Esel aufhocken, er werde sie sicher hinübertragen. Wenn sie aber aufgehockt sind, und der Esel mit ihnen mitten auf dem Wasser ist, so schlägt er mit dem Schweif hin und her, daß die Leute herabfallen müssen und ertrinken." So erzählt die Weber-Zenze und fügt hinzu: "Nun wissen Sie es, daß, wenn Sie zukemmen, Sie auf den Esel nicht aufhocken."

Aber ein Mehreres und Ärgeres wird vom Antichrist erzählt. - Er ist der Sohn einer alten Witwe und zu Babylon geboren. Durch göttliche Zulassung findet er alle Schätze, die noch aus heidnischen Zeiten vergraben sind; mit Hilfe seines Reichtums verführt er schier alle Leute. Wer ihm aber widerstrebt, der wird aufs grausamste hingerichtet. Am Ende wird er so stolz daß er sich in den Tabernakel setzt und sich anbeten läßt. Wer ihn also verehrt, hat zeitliches Gut und Glück die Menge; wer vor ihm nicht niederkniet, muß sterben. Aus Furcht ergibt sich ihm die ganze Menschheit. Als er aber schon glaubt, alles gewonnen zu haben, kommt unser Herr mit Moses und Elias, und sie besiegen den Teufelssohn.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 221f