Das Bild des heil. Christoph

Auf dem Arlberg droben sieht das Hospiz Sankt Christoph, zu dem ein armer Findling, mit Namen Heinrich Findelkind, vor Zeiten die milden Spenden gesammelt, bis daß eine ganze fromme Bruderschaft sich zusammengetan, das Gebäu errichtet und im Stand erhalten hat. Es sind zuvor viele Wanderer und Pilgersmänner auf dem Arl in Schnee und Sturm kläglich zu Grund gegangen, ehe daß dies Hospiz zu Ehren Gottes und des heil. Christoph, als des Schirmherrn der Reisenden zu Wasser und zu Lande, errichtet worden. Heute, wo die Gegend nimmer so einsam und der Weg leicht gangbar ist, geschieht es nur zur Lust, daß die Reisenden einkehren, aber sie finden noch gutes Gemach und ist auch die Kapelle noch wie einstmals dabei. Zn dieser Kapelle sieht eine holzgeschnitzte Bildfigur, die den großen heiligen Christoph darstellt, den der Sage nach ein Hirtenbübl mit seinem Taschenmesser geschnitzt haben soll. Rings umher ist jetzt ein Drahtgitter gezogen zum Schutz, weil da und dort schon so viel von dem Bildnis weggeschnitzelt ist. Damit Hat es folgende Bewandtnis:

Wenn von den ganz Jungen aus dem Stanzertal eines in die Fremde auf Arbeit ziehen muß*, dann geht es beim Wandern übern Arl hinein und erbittet sich den Schutz des Heiligen zur Reise. So ist aber der Glaube, daß wer einen Splitter von der Holzfigur wegschnitzelt und auf dem Leibe stets bei sich trägt, daß den das Heimweh, das den Gebirgler so gern anpackt, verschont. Darum wandte gar mancher dies Mittel an, so daß die Figur sichtlichen Schaden litt und man sie eingittern mußte.

Einmal soll auch ein junger Bub aus dem Stanzertal sich auf Arbeit irgendwo im flachen Land verdingt haben. Ehevor er von daheim Abschied nahm, stieg er zum Hospiz hinauf und schnitt sich ein Spänlein von St. Christophs Bild. Über eine Weile fiel das Bürschl in der Fremde draußen eine schwere Krankheit an, und sahen alle wohl, daß er nicht genesen möchte. Er litt große Schmerzen und Unruhe, verlangte auch heftig nach Haus. Allmählig [Allmählich] aber ward er still und bezeigte sich ganz fröhlich, redete von seiner Heimat, als wäre er wirklich dort, ja beschrieb etliches, das daheim in Haus und Weite vorging, so genau, als ob er es vor Augen sähe. Das nahm die Umstehenden groß wunder; er aber hörte nicht auf, Gott und Sankt Christoph zu danken, der ihn glücklich nach Haus gefühlt hätte, und so verschied er. Nach seinem Tode ward dies alles den Seinigen im Stanzeltal berichtet; und da fand sich, daß jedes Ding um dieselbige Zeit sich so zugetragen und verhalten hatte, wie es der Bursch in seiner Todesstunde gesehen. Daraus erkannte jedermann, daß der Splitter vom Bild des Heiligen, den der Bub immer auf seiner Brust getragen, ihm solche Gnade erwirkt hatte.

* Meist sind es Buben zwischen 10 und 16 Jahren, die sich als Hirten, Fahrburschen u. dgl. ins Schwäbische verdingen.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 127ff