Maria Waldrast
Auf die Waldrast bei der Stadt Innsbruck kam vor mehr denn fünfhundert Jahren ein schöner Engel herabgestiegen; der sprach einen hohlen Lärchenbaum im Namen der Gottesmutter also an: "Du Stock sollst ein Bildnis der Frauen im Himmel fruchten, denn bald wird da eine Kirchfahrt aufkommen." Da wuchs im Lärchenstamm ein Bildnis unsrer Frauen gleich als eine natürliche Frucht und ward zuerst gesehen am Ostersamstag im Jahre des Herrn 14407, von zwei frommen Hirtenknaben Hansele und Peterle von Mizens. Die liefen alsbald hin zu ihren Bauern und sagten ihnen: sie sollten geschleunig auf die Waldrast gehen, da hätten sie, die Buben, etwas Wunderbarliches in einem Stock gesehen, welches sie sich nicht anzurühren getrauten. Da gingen die Bauern mit noch anderen hin und fanden es also und nahm sie alle groß Wunder; da ward das Bild mit einer Säge aus dem Stocke geschnitten und zuerst nach Matrei gebracht. Daß ihm aber hernach ein eigen Haus gebaut ward, das ist also geschehen.
Zu Matrei ist einer gesessen mit Namen Christoph Lusch. In einer Pfinztag- (Donnerstag) Nacht, da er auf seinem Bette lag, ist zu ihm eine Stimme gekommen; die redt mit ihm zu dreien Malen und sprach: "Schläfst du?" - Zum letzten Male antwortete er und fragte: "Wer bist du, oder was willst du?" Da sprach die Stimme: "Ich bin eine Stimme." Da sprach er: "Was willst du?" Da sprach die Stimme: "Du sollst eine Kapelle aufbringen zu Ehren Unserer sieben Frauen in der Waldrast." Da sprach er: "Das will ich nit tun." Desgleichen kam die Stimme in der nächsten Pfinztagnacht und redete zu ihm als vor. Da sprach, er: "Ich bin zu arm dazu" - denn er war ein armer Holzhacker. Da kam aber in der dritten Pfinztagnacht die gleiche Stimme zu ihm und redete wie bevor. So hatte er in diesen dreien Nächten vor Sorgen nicht geschlafen und sprach zu der Stimme: "Wie meinst du, daß du von mir nicht lassen willst?" Da sprach die Stimme: "Du sollst es tun." Da sprach er: "Ich will es nit tun." Da nahm es ihn und hub ihn gerade auf und sprach: "Du sollst es tun; des berat dich nur bald!"
Da gedachte er bei sich: "O ich armer Mann, wie errat ich's, daß ich recht tue?" und sprach: er wollt es tun, wenn er die rechte Statt wüßte. Da sprach die Stimme: "Im Wald ist ein grüner Fleck im Moos, da leg dich nieder und raste; so wird dir die rechte Statt wohl kund getan." Das tat er und entschlief dort im Moos; und im Schlaf hörte er zwei Glöcklein. Da erwachte er und sah vor sich auf dem Fleck, da jetzt die Kirche steht, eine Frau in weißen Kleidern, die hatt ein Kind im Arm; des ward ihm nur ein Blick. Da gedachte er: "Allmächtiger Gott, das ist freilich die rechte Statt" und ging auf die Stelle, wo er das Bild gesehen und merkte sich recht an, wie er vermeinte die Kirche zu machen und die Glöcklein klangen, bis er ausgemerkt hatte. Darnach hörte er sie nicht mehr. Da sprach er: "Lieber Gott, wie soll ich's vollbringen? Ich bin arm und hab kein Gut, damit ich den Bau vollenden mag."
Da sprach die Stimme: "So geh zu frommen Leuten, die geben dir wohl so viel, daß du es gut vollbringst. Und wenn es so weit ist, daß man die Kirche weihen soll, so stehet es still durch sechsunddreißig Jahre; darnach wird es vor sich gehen und werden allda gar große Zeichen geschehen zu ewigen Zeiten."
Als der Mann nun die Kapelle anfangen wollte zu machen, da ging er zu
seinem Beichvater [Beichtvater] und tat ihm das kund, da brachte ihn der
vor den Pfarrer und der Pfarrer schickte ihn gen Brixen zum Bischof. Es
war aber derweil die Mär erschollen von dem wundersamen Frauenbildnis,
das die Hirtenbuben im Stock gefunden; daraus erkannte Christoph Lusch
mit Freuden, welch ein Bild in der künftigen Kirche sollte verehrt
werden. Fünfmal ging er nach Brixen, daß ihm der Bischof das
Bauen der Kapelle erlaube, das tat der Bischof am Erchtag vor St. Pankratius
Tag im Jahre des Herrn vierzehnhundertundneun. Der Sammelbrief ward dem
Luschen vom Generalvikar geben im Jahre vierzehnhundertundelf und die
Kapellen ward vollendet achtzehn Jahre darnach. Dann geschah es, wie die
Stimme vorhergesagt hatte: ein Stillstand trat ein und ward die Kirche
erst sechsunddreißig Jahre später vom Weihbischof Kaspar von
Brixen geweiht, anno vierzehnhundertundfünfundsechzig. Und geschehen
dort große Zeichen und Gnaden bis auf den heutigen Tag.
Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Bilder von Hugo Grimm, Innsbruck 1924, S. 53ff