Die lachende Mauer

Die lachende Mauer umgibt in weitem Umkreis das Paradies. Sie ist ganz glatt und von solcher Höhe, daß niemand ohne weiter hinaufkommt. Aber der Weg dahin ist um und um voller Dornen, die den Wanderer kleinweis martern und kommen gar viele nicht durch. Einmal mußte eine verstorbene Jungfrau auch barfuß über all die Disteln und Dornen gehen. Da hingen an einem Dornstrauch ein paar Schuhe. Das war im Leben ihr einziges paar Schuhe gewesen und das hatte sie einem Armen geschenkt. Nun konnte sie die Schuhe anziehen, und die Dornen stachen sie nicht mehr.

Wenn es einem oder dem anderen dann gelungen ist, sich bis zur Mauer durchzuarbeiten und findet er auch die weiter, die nahebei in einer Dornenhecke versteckt ist, so kann er auf die Mauer gelangen und sieht schon mit beiden Augen ins Paradies hinein. Aber drinnen ist er noch nicht, obwohl man inwendig bequem hinabsteigen kann. Zeder, der auf der Mauer sieht, hebt erst zu lachen an und muß lachen und lachen, er mag sich wenden, wohin er nur will. Davon hat die Mauer den Namen, wenn gleich sie selber nicht lacht, sondern nur der, der droben steht. Wenn er sich nun ordentlich müde gelacht hat, tut er einen lustigen Satz und ist drunten im Paradies.

Heraus kann keiner mehr, wenn er auch wollte, denn rund herum ist in der ganzen Mauer keine Tür zu finden.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 223f