Vom büßenden Pfarrer

Es waren einmal ein Pfarrer und ein Einsiedel, die hielten mitsammen gute Freundschaft. Der Frater Josue - so hieß der Einsiedel - hauste in den Ruinen des alten, stolzen Ritterschlosses Thaur im Unterinntal; der Pfarrer hieß mit Namen Georg Meringer, war ein gelehrter, frommer Herr, der viel Gutes wirkte. Die beiden Freunde hatten einander gelobt, daß der, welcher von ihnen zuerst sterben würde, dem andern nach dem Tode erscheinen sollte.

Der Pfarrer verschied als erster. Er ward begraben in seinem Pfarrdorf Thaur, in dem ur" alten Peterskirchl, das er nicht lang zuvor hatte neu herstellen lassen.

Der Einsiedet teilte seine Zeit zwischen dem Gebet und dem Fertigen schöner, künstlicher Altarblumen, darauf er sich trefflich verstand. Eines Abends spät saß er noch bei dieser Arbeit, da klopsfe es an sein Fensterlein - und da er auf. sah, stand draußen die Schattengestalt seines Freundes. Der sprach zu ihm: "Nun bin ich leib>ich gestorben und muß doch noch büßen. Ich habe drei heilige Messen, dafür ich die Stipendien eingenommen, zu lesen vergessen und leide schmerzlich deswegen. Sorge, daß die heiligen Messen gelesen werden, und hilf mir mit Beten, Fasten und Kasteien die Bußzeit verkürzen! Auch sollst du es meiner Gemeinde kund tun, damit meine Amtsbrüder und alle Frommen mich einschließen in ihr Gebet." - Da bat ihn der Einsiedet um ein Zeichen, daß er den anderen die Wahrheit der Erzählung beweisen und Glauben bei ihnen finden möchte.

So begehrte der Geist, der Einsiedel sollte ihm etwas herausreichen, und der Einsiedel reichte ihm den Deckel einer Blumenschachtel hinaus. Wie der Pfarrer seine Hand darauf legte, zischte es, und die Form der Hand war alsbald eingebrannt. "Sieh, wie ich brenne," sprach die arme Seele und verschwand.

Der Einsiedel aber lag fortan aufs treulichste dem Erlösungswerk ob und unterließ nichts von dem, was sein Freund ihm aufgetragen. Einigemale noch erschien ihm dessen abgeschiedene Seele, jedesmal in lichterem Gewand. Nach Jahresfrist aber erschien der Geist ganz weiß und glänzend und sprach: "Durch deine Hilfe bin ich erlöst. Gott vergelt es dir! Droben erwarte ich dich."

Nach sieben Tagen entschlief der Klausner, und die Freunde waren im Jenseits vereint.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 172ff