Vergelts Gott

Auf der Großeggalm im Duxertal war es nicht geheuer. Ein Geist ließ sich dort blicken: ein steinaltes, graues Lötterle, das aber keinem was zu leide tat. Im Gegenteil zeigte er sich dienstbar, wo er nur konnte, und der Melker, ein beherztes Mannsbild, fürchtete den Geist deshalb nicht, sondern war froh, daß ihm der so fleißig bei der Arbeit half. Er ließ ihn auch nicht Mangel leiden, schenkte ihm Käs und Milch; die trug das Lötterle fort - niemand wußte, wohin.

Einmal war der Melker auf die Hochzeit von Gefreundeten geladen und wäre ums Leben gern hingegangen; aber er hatte Sorge, was während der langen Zeit aus dem Vieh und der Kaser werden sollte. Das Lötterle indeß redete ihm zu: er möchte nur getrost hingehen und brauchte um nichts zu sorgen. Der Melker ging, verlebte einen lustigen Tag und als er wiederkam, fand er alles in schönster Ordnung: das Vieh gefüttert und getränkt, die Käser und den Stall schön gefegt, das Geschirr blank geputzt - kurz: jede Arbeit aufs Beste verrichtet. Der Melker freute sich nicht wenig und drang in das Geistle, ihm zu sagen, was es sich wünschte zur Belohnung. Der Kleine schwieg, sah ihn nur bittend und traurig an. Da meinte der Melker: weil es so armselig herschaue, sei ihm vielleicht ein Gewandstück erwünscht; also schenkte er dem Männlein eine abgetragene Lodenjoppe. Darauf Hub das Lötterle bitterlich zu weinen an und sprach: "Du hast mich ausgelohnt; jetzt darf ich nimmer kommen. Hättest du mir nur ein einziges "Vergelts Gott" gesagt, so hättest du mich erlöst und mir den Himmel erschlossen. Das aber hast du nicht getan." Und von Stund an sah der Melker es nicht mehr wieder.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 177ff