Das Alpenmännchen von Nikols

Das Dorf Nikolsdorf, volkstümlich Iggelsdorf, liegt an der Poststraße, nur 11¼ Stunden von Oberdrauburg, dem Grenzort von Tirol und Kärnten. Dasselbe besitzt eine Gemeindealpe, und auf dieser gab es schon von alten Zeiten her zur Nachtzeit unter dem Vieh Lärm; die Ochsen sprangen brüllend auseinander; waren sie im Pferch eingesperrt, so sprangen sie über den Zaun oder traten denselben nieder. Erst wenn der Hirt herbeieilte und einerseits wacker lärmte und fluchte nach Hirtenbrauch, andererseits die Ochsen rief und lockte, brachte er sie wieder zum Stehen, sie liefen ihm zuweilen wohl auch von selbst zu, wenn sie einmal hörten, wo er war.

Da einstens der Hirt, der noch lebt, wieder den alten Lärm hörte und der Pferchzaun schon krachte, begab er sich eilends hin zu den Ochsen und sah mitten unter ihnen ein kleines, etwa fußhohes Männlein in einem roten Röcklein mit einem grünen Hütchen auf dem Kopfe. Als der Hirt dieses Männlein recht gottlos ausmachte, so entfernte es sich ein wenig und verschwand. Von da an wurde es bedeutend besser, aber ganz Frieden wurde erst durch Auffindung eines alten Protokolles zu Lienz, mittels dessen ein langwieriger Grenzstreit zwischen der Nikolsdorfer und einer Nachbaralpe geschlichtet ward.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 336.