Die roten Ameisen

Nahe bei Lienz wohnte ein armes Weiblein, die Waserin geheißen, die im Städtchen sehr gut bekannt war. Ihre Kinder leben noch und haben oftmals selbst erzählt, was ihrer Mutter begegnet ist. Sie ging an einem felsigen Abhang, Gras zu schneiden. Da sah sie in der Mittagsstunde ein Töpflein stehen und weit und breit keinen Menschen, dem es angehören konnte. Die alte Waserin glaubte daher, es werde wohl zur Erdbeerzeit ein Kind das Töpflein hier stehen gelassen haben, und beschloß, dasselbe als guten, nutzbaren Fund sich anzueignen und mit nach Hause zu nehmen. Wie sie aber das Töpflein aufnahm, war es geschüttet voll roter Ameisen, die am ärgsten beißen; sie schüttete es daher eiligst aus und legte es dann in ihre Kraxe. Als sie daheim das Töpflein heraustat, klingelte es im Töpflein, und als sie hineinblickte, sah sie noch einige Ameisen, die sich soeben vor ihren Augen in blanke Zwanziger verwandelten. Jetzt lief die alte Waserin so eilends sie nur konnte nach jener Felswand zurück, wo sie gegrast hatte; es war aber dort weder etwas von roten Ameisen noch von blanken Zwanzigern zu sehen.

Ähnlich erging es bei Lienz einem Bauern, der auf seinem Acker, auf welchem schon öfters ein Schatz geleuchtet hatte, einen Topf voller Kohlen fand, die er aber unklugerweise ausschüttete.

Derlei Schatzsagen sind im Lienzer Gebiete sehr verbreitet und erstrecken sich ebenso, wie sie sich im Salzburgischen in ähnlicher Weise wiederholen, auch durchs Mühltal nach Kärnten.


Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 333.