Die Butteralpe

Unweit dem Dorfe Finkenberg, das halb dem Zillertale und halb dem Durertale zugewendet ist und nahe an 10 000 Morgen Alpenweiden besitzt, liegt die sogenannte Butteralpe, eine der größten und schönsten dieser Alpen, welche vor Zeiten hochberühmt war wegen ihrer Ergiebigkeit an Futterkräutern und dem Reichtum, den sie durch den Ertrag an Butter und Käse ihren Besitzern lieferte. Die Butteralpe breitet sich über ein Joch aus, das von unten gesehen sich äußerst lieblich und grün darstellt; von oben aber gesehen erscheint dasselbe rauh und felsig. Das war ehedem nicht so. Alles war eine herrliche Matte, auf welcher die Sonne den ganzen Tag lag, und nur durch Menschenfrevel ist dies anders geworden. Eines Tages, als die Senner auf der Butteralpe ihre sämtliche Arbeit verrichtet hatten und nicht wußten, wie sie den Tag zubringen sollten, sprach einer von ihnen: "Ich wüßte ein Spiel, das noch nie gespielt worden, ein Kegelspiel nach der neuesten Mode. Mit Butterkugeln wollen wir zielen und sehen, wer am meisten Kegel umwerfen kann." Gleich brachten die Senner Butterkugeln aus ihren Hütten heraus, und das Spiel begann; aber siehe da! es erhob sich alsbald ein fürchterliches Ungewitter. Links und rechts krachten die Felsen, vom Donner gleichsam erschüttert, und wild flog der Nebel von einer Bergspitze zur andern, Blitze durchkreuzten die Luft, und ein schreckliches Hagel- und Schneegestöber folgte dem Unwetter. Wohl verließen die Senner das frevelhafte Spiel und eilten den aufgescheuchten Kühen und der Herde nach, um sie aus dem Sturm zu retten, allein alles war vergebens, das meiste vom Alpenvieh sprengte an den nahen Gründen herum, und mehr als die Hälfte war in einen sehr tiefen Abgrund gefallen. Und als die Sennen auch hier nach Möglichkeit zu helfen versuchten, da wurden sie gleichsam mit einer unsichtbaren Gewalt ringend in den nämlichen Abgrund hinabgeschleudert, wo sie noch heute begraben liegen. Auf diese Weise wurden die übermütigen Spieler bestraft, und ein Fluch scheint sich zugleich auf die Alpe gelegt zu haben, denn sie ist seitdem fast immer mit Schnee und Eis bedeckt. Und Wandersleute, welche in der Nähe jenes Abgrundes, wo die Frevler begraben liegen, ausruhen, wollen ihre Gestalten gesehen und "huschen" (husch! husch! rufen) gehört haben - ein Zeichen, daß sie an der kalten Pein leiden.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 65