Das Nachtvolk

In der Zwing, einer finstern, ¼ Stunde langen Klamm zuhinterst im Walsertale in Vorarlberg, die von 200 und mehr Fuß hohen senkrechten Felswänden eingeengt ist, hausten einst, besonders am sogenannten "Schänzle", das nur wenige Schritte vom österreichischen Mauthaus entfernt liegt, kleine Berggeister, welche man dort das "Nachtvolk" nannte. Sie hatten einerlei Natur und Artung mit den Wichtein und Nörggeln Tirols, waren aber dabei mehr lustig; geigten, pfiffen und trommelten gern des Nachts und trieben in Kuhställen, in Häusern, in Küchen, auf Böden und sonst viel neckisches Wesen. Da aber die Bewohner begannen, ihnen nachzustellen, sie zu belauschen, ja sie zu fangen trachteten, so verzog sich das Nachtvolk und suchte unweit des nahen wilden und schaurigen Genscheltobels eine Zufluchtsstätte. Wer sich dorthin traut, kann bisweilen noch einen oder den ändern Angehörigen des Nachtvolkes gewahren oder ihn musizieren hören.

Sehr anziehend ist die Benennung "Nachtvolk" für diese kleinen Elementargeister in diesem Lande, da uns dieselbe im übrigen Deutschland kaum, wohl eher im germanischen Norden begegnet. Dorthin deutet auch die elbische oder Elfennatur, die Freude an Tanz und Musik.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 217.